In einer Familie aufzuwachsen, die sich über mehrere Generationen, Stämme, Städte und Länder erstreckt, war für mich nicht einfach. In der nächsten Umgebung der Verwandtschaft kannte ich meinen Platz, doch weiter entfernt war ich mir stets unbewusst, wo und wie ich mich selbst einzuordnen hatte. Das wenige, das ich über weiter entfernten Angehörigen wusste, waren meist nur die Namen, die in Konversationen oder Erzählungen mit Selbstverständlichkeit erwähnt wurden. Bei großen Familienfesten, die in meiner Kindheit noch stattfanden, wurde ich herzlich von Menschen beim Vornamen begrüßt, deren Gesicht ich im besten Fall flüchtig kannte, aber die mir trotzdem fremd waren. Mit der Zeit füllten sich Lücken in meinem imaginären Stammbaum, doch essenzielle Knotenpunkte blieben in meinen Gedanken für lange Zeit nicht verknüpft.
Gegen Ende des vergangenen Jahres 2022 bot sich mir durch eine Pause zwischen zwei Anstellungen die Zeit, meine eigene Familienhistorie für mich selbst aufzuarbeiten. Ich erinnerte mich an einen dicken, schwarzen und abgegriffenen Ordner, der über viele Jahre und Umzüge hinweg mit mir wanderte, dem ich aber nie Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Dieser Ordner, auf dem Rücken betitelt mit „Gustav Piffl – Familienerinnerungen“ gelang als Besitz meines Vaters in meine Hände, womöglich durch falsches Einsortieren bei einem Umzug, oder schon als früherer Versuch, die Familienhistorie zu erkunden.
Bereits nach dem ersten Durchblättern der maschinengeschriebenen Seiten wurde mir bewusst, dass es sich hier um mehr als die Antworten zu meinen lange gestellten Fragen handelte: ein Zeitzeuge in schriftlicher Form, der das damalige Leben in und um die weite Familie herum aus erster Hand wiedergibt. So begann meine Reise durch die Geschichte, die sich schnell von der Selbstfindung zur chronischen Detektivarbeit entwickelte. Doch die losen und teils sehr schwer leserlichen Blätter in dem auseinanderfallenden Ordner waren nicht die adäquate Form, diese Reise fortzusetzen. Immer schon sehr an Geschichte interessiert, war mein nächstes Ziel, die Worte meines Vorfahren zu bewahren, in digitaler Form. Die erste, und bei weitem nicht letzte Anschaffung des Projektes wurde getätigt: ein Scanner mit schnellem Serieneinzug – ein Stapel an Seiten hinein, hochauflösende Scans heraus. Auch wenn der Scanner mir das mühsame Einlegen einzelner Seiten ersparte, verbrachte ich trotzdem einige lange Abende mit dem Füttern des Geräts, anpassen von Scan-Einstellungen, digitalem Verbinden der einzelnen Dateien und einem gesunden Maß an Gefluche, wenn der Scanner erneut mehrere statt einer einzelnen Seite auf einmal einzog. Qualität der digitalen Reproduktion war mir wichtig, wodurch am Ende ein PDF mit über 380 Seiten und 2,5 Gigabyte Größe entstand. Auch wenn an diesem Punkt zumindest die Originalversion bewahrt war, war ich längst nicht zufrieden. Ich wollte in die Geschichte eintauchen, recherchieren und herausfinden, was mein Ururgroßvater seinerzeit erleben konnte.
Mein Ururgroßvater, Gustav Piffl. Seine Tochter Adolphine, von der Familie stets liebevoll „Omina“ genannt, war in meiner Kindheit noch eine präsente Person, die ich sehr schätzte. Noch heute habe ich sie als enorm resiliente Frau in Erinnerung, die in ihrem damaligen hohen Alter von 96, trotz beidseitiger Amputation beider Beine unterhalb der Knie und Schwierigkeiten mit der Sprache durch Schlaganfälle, noch für den einen oder anderen Spaß zu begeistern war. So konnte ich den ersten greifbaren Knoten knüpfen und meinen geistigen Stammbaum erweitern. Warum nicht gleich noch tiefer gehen? Warum nicht meine Erfahrungen mit anderen teilen? Vielleicht befinden sich andere Familienmitglieder in ähnlichen Situationen und wollen mehr über die Vergangenheit erfahren? Verbunden mit der Gelegenheit, als Grafiker ein gesamtes Buch zu gestalten, begann der lange Prozess, Gustavs Erinnerungen Wort für Wort zu transkribieren und in ein gebundenes Werk zu verarbeiten.
Anfangs dachte ich, ein paar Wochen lang gemütlich abends mit Lesen und Tippen beschäftigt zu sein. Wochen wurden zu Monaten und schlussendlich schreibe ich diesen Artikel ein gutes Jahr nach Beginn des Abenteuers. Das Abtippen selbst war an sich recht einfach – bei gutem Tempo konnte ich mehrere Seiten in einer Sitzung niederschreiben. Doch diese „leichten“ Seiten waren eher die Ausnahme. Die maschinengeschriebenen Seiten von Gustav variierten punkto Lesbarkeit drastisch. Abdrucke der noch nicht getrockneten Vorderseite, überschriebene Zeilen, doppelt und dreifach übertippte Worte, bis hin zu komplett unleserlichen Seiten durch Schäden der Zeit. Des Öfteren betrachtete ich einzelne Buchstaben durch einen Fadenzähler und verglich historische Schriftsätze mit den Zeichen vor mir, nur um ein einzelnes Wort zu entziffern. Wenn das nicht gelang, wanderte die gescannte Seite in Photoshop, um dort die einzelnen Helligkeitstöne des Toners unterscheiden zu können und lesbar zu machen. Manche Seiten wurden akribisch über Tage hinweg bis auf die Fasern des Papiers untersucht, keine Methode war hier zu aufwändig.
Auch wenn die niedergeschriebenen Informationen viel mehr vermittelten, als ich mir anfangs erhoffte, blieben manche Details verborgen. Wer war dieser erwähnte Doktor Fürth? Wie sah das beschriebene Haus am Franziskanerplatz 1 aus, oder das Schloss Rabenstein? Mit der inhaltlichen Aufarbeitung entstand so nun ein Recherche-Aspekt, der oft an jahrhunderteübergreifende Detektivarbeit erinnerte und einen substanziellen Teil der Bearbeitung bildete. Maßgeblich hilfreich waren hier die Archive der Österreichischen Nationalbibliothek, die über enorme Tiefen an Ressourcen verfügen. Einiges an geschichtlichem Bildmaterial, das die Worte von Gustav visuell unterstützt, konnte ich ebenfalls durch das Bildarchiv der ÖNB erwerben und so an einigen Stellen des Buches das Erzählte bildlich darstellen.
Natürlich ist auch zu erwähnen, dass die umfangreiche Bildsammlung der dynastiemautnermarkhof-Website einen großen Beitrag zu den bildlichen Anschauungen geleistet hat. Hier fand ich einige sehr wertvolle Bilder, die zusammen mit Scans von eigenen Familienalben, aufwändig über viele Stunden aufbereitet und retuschiert, ihren Platz neben den Erzählungen finden.
Die Arbeit an diesem Buch über das letzte Jahr hinweg hat es mir ermöglicht viel zu lernen – über die weite verzweigte Familie, über die Geschichte der damaligen Zeit, über Gebräuche und das Leben vor so vielen Jahren. Auch wenn heute mein geistiger Stammbaum noch nicht ganz gefüllt ist, liegt das weniger an einem Mangel an Informationen, sondern vielmehr an einem Überschuss derselben, für den ich dankbar bin.
Zum Buch
Alle Familienmitglieder, die Gustav Piffls Lebenserinnerungen auch in gedruckter Form bewahren möchten, können sie gerne bei mir bestellen.
10.000 Stunden Mautner Markhof
/in Allgemein /von Beate HemmerleinEin Projekt dieses Ausmaßes – gemeint ist die vorliegende Website – kann man nicht alleine mit konzeptivem Know how, kreativer Stärke, Arbeitswillen und Durchhaltevermögen bewältigen. Es ist die Seele eines Werkes, die seine Vollkommenheit ausmacht – und ich hatte gute Begleiter, die es mir ermöglicht haben, dieses Werk mit Seele zu vollbringen. Jeder für sich hat mich immer wieder bestärkt und motiviert – jeder auf seine Art und Weise; manche aktiv, manche aus dem Gendenken heraus, manche punktuell, manche stetig. Sie sind es, deren Beitrag ich nicht ungewürdigt lassen möchte:
Für Adolf Ignaz
Dessen Pioniergeist, Fleiß und Wille (wie passend sein Wahlspruch zum Wappen) im Zeitraum eines nur halben Menschenlebens Unglaubliches für Generationen hinweg ermöglichten. Ein Selfmade-Mann mit dem Herz am rechten Fleck, dessen Andenken es gilt weit über soziale Errungenschaften hinaus zu würdigen und dessen Biographie – so wie ich hoffe – all seinen Nachfahren die Motivation gibt, sich nicht nur auf eventuelle ererbte gesellschaftliche Privilegien zu beschränken.
Für Carl Ferdinand
Der mich innerlich rührte. Als Knabe, in jungen Jahren und noch einfachen Verhältnissen bereits für die Familie sorgend, als junger Erwachsener pflichtbewusst den vorbestimmten Weg an der Seite seines Vaters beschreitend, als gereifter Mann sich gezwungen sah, den Freitod zu wählen. Und dies mit der so einfachen berührenden letzten Bitte um Vergebung, ihm dennoch die Sterbesakramente nicht zu verweigern.
Für Victor
Den ich im vorliegenden dynastischen Kontext als erfrischend herausleuchtend empfinde. Nicht auf sozialen Aufstieg durch Heirat bedacht, kinderlos geblieben, den schönen Künsten und individueller Lebensfreude zugetan kann ich nicht umhin, dass dieser historische belegte heitere und angenehme Zeitgenosse, Bruder und Onkel mir immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubert.
Für Manfred II.
Im Gedenken an den lieben Herrn Professor, der mir ausnahmslos freundlich und wohlwollend gegenübergetreten ist und sein Büro an der Seilerstätte bei Bedarf immer mit mir geteilt hat. Nie werde ich auch unsere letzte Begegnung im Lift am Stubenring vergessen.
Für Uki
Der Liebevollen und Sorgsamen, deren Herzensbildung und Gesinnung einer Nachfahrin von Adolf Ignaz mehr als würdig genannt werden darf. Selbst Schriftstellerin, hat sie dafür gesorgt, dass viel Wertvolles erhalten bleibt und konnte auch so manche ausführliche Schilderung noch aus vielen eigenen Erinnerungen beisteuern.
Für Viktor
Den besten, korrektesten und zuverlässigsten Partner, den man sich nur wünschen kann und der niemals Zeit und Mühe gescheut hat, um mit seinen detailgenauen Recherchen das Projekt auf den inhaltlich hochwertigen Stand zu bringen, den wir mit dieser Website präsentieren können.
Für Abi & Rike
Die mit so viel Engagement und Hingabe ihr Erbe durchforsten und in vieler Nächte Arbeit unermüdlich recherchieren, scannen und transkribieren. Dank ihnen konnte auch – aber nicht nur – die Linie Reininghaus wieder zum Leben erweckt werden!
Für Theodor Heinrich
Der mich zu Beginn des Jahres 2017 auf diese historische Reise schickte, die mich nicht nur durch einen großen Teil österreichischer Geschichte geführt hat, sondern auch endlich all die Erzählungen verstehen ließ, denen ich während der vergangenen drei Jahrzehnte – mehr zusammenhanglos – gelauscht hatte. Einzig seiner Vision, Tatkraft und Großzügigkeit ist es zu verdanken, dass all das, das einst in Böhmen mit Adolf Ignaz seinen Anfang genommen hat und in den 1990er Jahren von Georg (IV.) J. E. aufgegriffen wurde, seinen Weg aus den Papierarchiven finden konnte und durch den Einsatz zeitgemäßer Medien auch künftigen Generationen weltweit erhalten bleiben kann.
10.000 Stunden Mautner Markhof – möge die spannende Reise noch viele Stunden Mautner Markhof mehr bringen.
Die Weitergabe des Feuers
/in Allgemein /von Theodor Heinrich Mautner MarkhofDie Geschichte des Hauses Mautner Markhof ist eine Geschichte vieler Schicksale. Eine Geschichte von Tradition, von Erfolgen und natürlich auch von Rückschlägen. Herausragend sind die Pioniere, die mit Leidenschaft ihre Visionen verfolgten und so auch die Gesellschaft der jeweiligen Zeit mit beeinflussten, manche davon nachhaltig.
Familie kann man sich nicht aussuchen, wie es so schön heißt, das gilt natürlich auch für jeden von uns, mit allen Vor- und Nachteilen. Das, was das Haus Mautner Markhof jedoch all seinen Mitgliedern und Nachkommen mitzugeben vermag, ist die Gewissheit, dass mit Hingabe, Engagement, Glauben, Willen und Durchhaltevermögen alle Träume, Wünsche und Vorstellungen realisierbar sind.
Adolf Ignaz war mutig, fortschrittlich, kreativ und wegweisend. Er hat erschaffen, hat bewirkt, gestaltet, hervorgebracht und – vor allem anderen – hatte das Herz am rechten Fleck. Seinen Geist zu bewahren, bedeutet also vielmehr nicht nur Nutznießer materieller und gesellschaftlicher Werte zu sein, sondern couragiert neue Wege zu beschreiten, an sich zu glauben und eigene richtungsweisende Ideen und Projekte ins Leben zu rufen.
“Innovate don´t imitate“ – oder um es mit Gustav Mahlers Worten zu sagen „Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche“.
Um nun dies auch zu ermöglichen und allen Familienmitgliedern, wo sie auch sein mögen, ihre Wurzeln zu erhalten, habe ich im Zeitalter der neuen Medien die Gelegenheit ergriffen ihre Möglichkeiten zu nutzen und den Grundstein dazu im Rahmen der Internetseite gelegt. Ich wünsche und hoffe, dass sich in jeder kommenden Generation ein paar Nachkommen finden, die das weiterführen, was mein Bruder Manfred Leo, mein Cousin Viktor und ich initiiert haben und somit das erhalten, was Adolf Ignaz so herausragend begonnen hat.
Verfasst von Theodor Heinrich Mautner Markhof
Tagebuch des Gustav I. von Reininghaus
/in Reininghaus/Linie 1 /von Ulrike ReininghausTagebuch des Gustav I. v. Reininghaus
Gustav I. von Reininghaus (1851 – 1883) wurde von seinen Eltern, Johann Peter und Therese, mit 18 Jahren an das Polytechnikum in Zürich – heute die Eidgenössische Technische Hochschule – geschickt. Solange er dort noch keine Freunde gefunden hatte, schrieb er seine Erlebnisse und Gedanken in ein Tagebuch, jedoch nur in den ersten Monaten regelmäßig.
Anfangs hatte Gustav großes Heimweh nach Eltern und Geschwistern in Graz. Er fügte sich jedoch den Wünschen seines Vaters und absolvierte diverse naturwissenschaftliche und technische Studiengänge, wobei er jedoch lieber die Mathematik weiter vertieft hätte. Für einen 18-Jährigen erscheinen seine Gedanken außerordentlich erwachsen und er selbst sehr gebildet und pflichtbewusst. Obwohl er geistreiche Dinge schrieb, hatte er aber wohl auch immer die Sorge im Hinterkopf, dass sein Tagebuch einmal jemandem in die Hände fallen könnte. Interessanterweise hatte sein Studienfleiß irgendwann nachgelassen – wie man aus den letzten Zeilen des Buches von Februar 1871 erfahren kann. Die kleine „Abrechnung“ dort mit sich selbst macht ihn umso sympathischer und sein Abgangszeugnis zeigt, dass ihn Fleiß und Wille irgendwann wieder eingeholt haben müssen.
Handschriftliches Tagebuch von Gustav I. von Reininghaus, Zürich 1869 – 1871
Transkription des handschriftlichen Tagebuchs von Gustav I. von Reininghaus, Zürich 1869 – 1871
Familienerinnerungen des Gustav Piffl
/in Reininghaus/Linie 1 /von Maximilian SpechtlerIn einer Familie aufzuwachsen, die sich über mehrere Generationen, Stämme, Städte und Länder erstreckt, war für mich nicht einfach. In der nächsten Umgebung der Verwandtschaft kannte ich meinen Platz, doch weiter entfernt war ich mir stets unbewusst, wo und wie ich mich selbst einzuordnen hatte. Das wenige, das ich über weiter entfernten Angehörigen wusste, waren meist nur die Namen, die in Konversationen oder Erzählungen mit Selbstverständlichkeit erwähnt wurden. Bei großen Familienfesten, die in meiner Kindheit noch stattfanden, wurde ich herzlich von Menschen beim Vornamen begrüßt, deren Gesicht ich im besten Fall flüchtig kannte, aber die mir trotzdem fremd waren. Mit der Zeit füllten sich Lücken in meinem imaginären Stammbaum, doch essenzielle Knotenpunkte blieben in meinen Gedanken für lange Zeit nicht verknüpft.
Gegen Ende des vergangenen Jahres 2022 bot sich mir durch eine Pause zwischen zwei Anstellungen die Zeit, meine eigene Familienhistorie für mich selbst aufzuarbeiten. Ich erinnerte mich an einen dicken, schwarzen und abgegriffenen Ordner, der über viele Jahre und Umzüge hinweg mit mir wanderte, dem ich aber nie Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Dieser Ordner, auf dem Rücken betitelt mit „Gustav Piffl – Familienerinnerungen“ gelang als Besitz meines Vaters in meine Hände, womöglich durch falsches Einsortieren bei einem Umzug, oder schon als früherer Versuch, die Familienhistorie zu erkunden.
Bereits nach dem ersten Durchblättern der maschinengeschriebenen Seiten wurde mir bewusst, dass es sich hier um mehr als die Antworten zu meinen lange gestellten Fragen handelte: ein Zeitzeuge in schriftlicher Form, der das damalige Leben in und um die weite Familie herum aus erster Hand wiedergibt. So begann meine Reise durch die Geschichte, die sich schnell von der Selbstfindung zur chronischen Detektivarbeit entwickelte. Doch die losen und teils sehr schwer leserlichen Blätter in dem auseinanderfallenden Ordner waren nicht die adäquate Form, diese Reise fortzusetzen. Immer schon sehr an Geschichte interessiert, war mein nächstes Ziel, die Worte meines Vorfahren zu bewahren, in digitaler Form. Die erste, und bei weitem nicht letzte Anschaffung des Projektes wurde getätigt: ein Scanner mit schnellem Serieneinzug – ein Stapel an Seiten hinein, hochauflösende Scans heraus. Auch wenn der Scanner mir das mühsame Einlegen einzelner Seiten ersparte, verbrachte ich trotzdem einige lange Abende mit dem Füttern des Geräts, anpassen von Scan-Einstellungen, digitalem Verbinden der einzelnen Dateien und einem gesunden Maß an Gefluche, wenn der Scanner erneut mehrere statt einer einzelnen Seite auf einmal einzog. Qualität der digitalen Reproduktion war mir wichtig, wodurch am Ende ein PDF mit über 380 Seiten und 2,5 Gigabyte Größe entstand. Auch wenn an diesem Punkt zumindest die Originalversion bewahrt war, war ich längst nicht zufrieden. Ich wollte in die Geschichte eintauchen, recherchieren und herausfinden, was mein Ururgroßvater seinerzeit erleben konnte.
Mein Ururgroßvater, Gustav Piffl. Seine Tochter Adolphine, von der Familie stets liebevoll „Omina“ genannt, war in meiner Kindheit noch eine präsente Person, die ich sehr schätzte. Noch heute habe ich sie als enorm resiliente Frau in Erinnerung, die in ihrem damaligen hohen Alter von 96, trotz beidseitiger Amputation beider Beine unterhalb der Knie und Schwierigkeiten mit der Sprache durch Schlaganfälle, noch für den einen oder anderen Spaß zu begeistern war. So konnte ich den ersten greifbaren Knoten knüpfen und meinen geistigen Stammbaum erweitern. Warum nicht gleich noch tiefer gehen? Warum nicht meine Erfahrungen mit anderen teilen? Vielleicht befinden sich andere Familienmitglieder in ähnlichen Situationen und wollen mehr über die Vergangenheit erfahren? Verbunden mit der Gelegenheit, als Grafiker ein gesamtes Buch zu gestalten, begann der lange Prozess, Gustavs Erinnerungen Wort für Wort zu transkribieren und in ein gebundenes Werk zu verarbeiten.
Anfangs dachte ich, ein paar Wochen lang gemütlich abends mit Lesen und Tippen beschäftigt zu sein. Wochen wurden zu Monaten und schlussendlich schreibe ich diesen Artikel ein gutes Jahr nach Beginn des Abenteuers. Das Abtippen selbst war an sich recht einfach – bei gutem Tempo konnte ich mehrere Seiten in einer Sitzung niederschreiben. Doch diese „leichten“ Seiten waren eher die Ausnahme. Die maschinengeschriebenen Seiten von Gustav variierten punkto Lesbarkeit drastisch. Abdrucke der noch nicht getrockneten Vorderseite, überschriebene Zeilen, doppelt und dreifach übertippte Worte, bis hin zu komplett unleserlichen Seiten durch Schäden der Zeit. Des Öfteren betrachtete ich einzelne Buchstaben durch einen Fadenzähler und verglich historische Schriftsätze mit den Zeichen vor mir, nur um ein einzelnes Wort zu entziffern. Wenn das nicht gelang, wanderte die gescannte Seite in Photoshop, um dort die einzelnen Helligkeitstöne des Toners unterscheiden zu können und lesbar zu machen. Manche Seiten wurden akribisch über Tage hinweg bis auf die Fasern des Papiers untersucht, keine Methode war hier zu aufwändig.
Auch wenn die niedergeschriebenen Informationen viel mehr vermittelten, als ich mir anfangs erhoffte, blieben manche Details verborgen. Wer war dieser erwähnte Doktor Fürth? Wie sah das beschriebene Haus am Franziskanerplatz 1 aus, oder das Schloss Rabenstein? Mit der inhaltlichen Aufarbeitung entstand so nun ein Recherche-Aspekt, der oft an jahrhunderteübergreifende Detektivarbeit erinnerte und einen substanziellen Teil der Bearbeitung bildete. Maßgeblich hilfreich waren hier die Archive der Österreichischen Nationalbibliothek, die über enorme Tiefen an Ressourcen verfügen. Einiges an geschichtlichem Bildmaterial, das die Worte von Gustav visuell unterstützt, konnte ich ebenfalls durch das Bildarchiv der ÖNB erwerben und so an einigen Stellen des Buches das Erzählte bildlich darstellen.
Natürlich ist auch zu erwähnen, dass die umfangreiche Bildsammlung der dynastiemautnermarkhof-Website einen großen Beitrag zu den bildlichen Anschauungen geleistet hat. Hier fand ich einige sehr wertvolle Bilder, die zusammen mit Scans von eigenen Familienalben, aufwändig über viele Stunden aufbereitet und retuschiert, ihren Platz neben den Erzählungen finden.
Die Arbeit an diesem Buch über das letzte Jahr hinweg hat es mir ermöglicht viel zu lernen – über die weite verzweigte Familie, über die Geschichte der damaligen Zeit, über Gebräuche und das Leben vor so vielen Jahren. Auch wenn heute mein geistiger Stammbaum noch nicht ganz gefüllt ist, liegt das weniger an einem Mangel an Informationen, sondern vielmehr an einem Überschuss derselben, für den ich dankbar bin.
Vorschau „Familienerinnerungen“ / Gustav Piffl
Zum Buch
Alle Familienmitglieder, die Gustav Piffls Lebenserinnerungen auch in gedruckter Form bewahren möchten, können sie gerne bei mir bestellen.
Postkarten an Ilse von Reininghaus, Kriegsbeginn 1914
/in Reininghaus/Linie 1 /von Ulrike ReininghausPostkarten Luise Piffl (geb. v. Reininghaus) an Ilse v. Reininghaus, 1914
Luise Piffl an Ilse v. Reininghaus, 1914
An alle Lieben denkt man in der Stunde,
die dem Ruf des Vaterlandes folgen müssen.
Es hat wohl deinen lieben Gustav auch schon getroffen!
Trotz aller Hoffnung auf baldige Beilegung, resp. Bezwingung,
ist der Abschied doch furchtbar.
Du und Tausende brauchten wohl ihre ganze Kraft!
Wir fühlen’s mit dir, liebste Ilse!
Wohin muss Gusti einrücken?
Der Unsrige ist schon „unten“. Gott schütze alle Beide!
Innigste Küsse!
Tante Luise
Liebe, liebe Ilse,
lass mich wieder etwas von deinem lieben Gusti,
Dir und Kinderln hören!
Der Unsrige an d. serb. Grenze, ist unb. ziemlich
wohl. Aber Hardy, Hardy! (Anm.: Eberhard, Sohn von Hugo v. Reininghaus)
Seit 20. August vermisst! Großmama darf’s nicht wissen.
Ärmster Hugo!
Innigste Grüsse
Tante Luise
2 Postkarten Peter v. Reininghaus an Ilse v. Reininghaus, 1914
Peter v. Reininghaus an Ilse v. Reininghaus, 1914
Besonders innig wünsche ich Dir zum heurigen Jahreswechsel
für die kommenden Zeiten Glück!
Handküsse
Peter
Nach relativ hindernisloser Fahre bin ich gut
in Wien angelangt, konnte jedoch Mama nicht
mehr treffen, da sie knapp vor meiner Ankunft
nach Graz abreiste.
Nochmal den innigsten Dank für die so reichlich
erwiesene Gastfreundschaft.
Herzliche Grüße an Gusti und Deine Eltern
Dir selbst Handküsse!
Peter
Postkarte Hans v. Reininghaus an Ilse v. Reininghaus, 1914
Hans v. Reininghaus an Ilse v. Reininghaus, 1914
Liebe Ilse!
Wir waren sehr erfreut, Gustav gestern hier zu sehen.
Er befindet sich übrigens in vollkommenem Irrtum.
Er wird laut „Widmungskarte“ uns zu „internem Dienst“
verwendet werden, wenn überhaupt.
Er ist darüber zwar empört; das hilft aber nichts,
doch sei ohne Sorge.
1000 Grüße und Küsse von Onkel Hans
(Anm.: Ironischer Text von „Onkel Hans“ – die Widmungskarte enthielt die militärischen Anordnungen über Pflichten im Kriegsfall. Gustav II. von Reininghaus hatte als Österreicher seinen Wohnsitz im Ersten Weltkrieg in Bayern/Deutschland.)
Grabanlagen der Familie von Reininghaus / Stadtfriedhof St. Peter, Graz
/in Reininghaus/Linie 1 /von Ulrike ReininghausDas Grabmonument der Familie von Reininghaus stellt die größte Gedenkstätte des Evangelischen Stadtfriedhofs St. Peter in Graz dar. Den Mittelpunkt der von Architekt Prof. Friedrich Sigmundt (1856 – 1917) gestalteten Anlage mit Wandelgang und Säulen bildet das Porträtrelief von Johann Peter von Reininghaus (*02.10.1818 – † 07.05.1901).
Die nur wenige Meter entfernte, wohl Jahrzehnte zuvor errichtete Grabkapelle „Familie Reininghaus“ im gotischen Stil mit Eckstrebepfeilern und Engelsstatuen versehen, war ursprünglich für die Familien beider Brüder aus Westfalen gedacht. Dort fanden zunächst der früh verstorbene Julius Reininghaus (*11.02.1823 – † 26.10.1862), Ehemann von Emilie Mautner Markhof (*17.04.1838 – † 28.03.1887), sowie der mit nur 32 Jahren verstorbene erste Sohn von Johann Peter und Therese von Reininghaus, Gustav I. (*25.05.1851 – † 27.05.1883), ihre letzte Ruhe.
Den Grund für die Errichtung eines zweiten Reininghaus-Grabdenkmals findet man in den Erinnerungen ihres Enkels Gustav Piffl (*04.08.1874 – † 10.10.1965), verfasst in den Jahren 1944/45, der Bezug auf den von Fritz Reininghaus (*14.06.1862 – † 28.07.1933) geführten langjährigen Rechtsstreit nahm: „Das monumentale Grabdenkmal wurde nach Onkel Hugos Angaben errichtet; gewiss ein Missgriff, weil dem schlichten, jedem äußerlichen Prunke abholden Charakter Großvaters so gar nicht entsprechend. Ein Vierteljahrhundert sollte er nun allein in der Gruft schlummern. Die alte Grabkapelle am dortigen Friedhofe, noch für beide Stämme Reininghaus bestimmt, wurde nach einer Vereinbarung infolge der unglückseligen Prozesse nicht mehr benützt.“ (S. 80, Familienerinnerungen – ein Einblick in eine vergangene Zeit. Die verbindende Geschichte der Familien Piffl, Mautner Markhof und Reininghaus. Erzählt von Gustav Piffl. Aufbereitet von Max Spechtler.)
Grabmonument der „Familie von Reininghaus“, Evangelischer Stadtfriedhof St. Peter/Graz.
Architekt des Grabmonuments war Prof. Friedrich Sigmundt (1856 – 1917).
Seitenansicht des Grabmonuments der „Familie von Reininghaus“, Evangelischer Stadtfriedhof St. Peter/Graz.
„Die Liebe höret nimmer auf“, Hohelied der Liebe/1. Korinther/ 13,8
„Gustav Hüser aus Dankbarkeit“. Gustav Hüser (1861 – 1866), Pfarrer aus Isenburg/Kierspe, verheiratet mit Eleonore Reininghaus, Schwester von Johann Peter und Julius.
Detailansicht Grabmonument Familie Reininghaus.
Zaun Grabmonument Familie Reininghaus.
Relief Johann Peter von Reininghaus, geschaffen von Prof. Georg Winkler (1862 – 1933).
Gedenktafel Peter von Reininghaus, Diplomkaufmann / Antonia, Johanna, Anna Maria v. Reininghaus.
„Sein Leben galt dem Schönen, dem Edlen, dem Guten, dem Wissen um die Kunst.“ Gewidmet Hugo von Reininghaus (Eggenberg, 4.3.1866 – München 29.4.1942), zweiter Sohn von Johann Peter und Therese.
Adele von Hebra, geb. von Reininghaus, Witwe nach dem A. O. Universitäts-Professor Dr. Hans Ritter von Hebra. Geb. 28. Juni 1855, gest. 11. März 1933, eine der sieben Töchter von Johann Peter und Therese
Gedenktafel Johann Dietrich/Hans von Reininghaus (15.4.1867 – 15.12.1959) und seiner Nachkommen.
Das Reininghaus Familienwappen unterhalb der Gedenktafel von Johann Peter und Therese.
Gedenktafel für die Erbauer.
Wenige Meter südwestlich befindet sich ein gotischer Kapellenbau mit Eckstrebepfeilern und Engelsstatuen, der neben weiteren Mitgliedern der Familie auch dem 1862 verstorbenen jüngeren Bruder Julius Reininghaus, Mitbegründer der Brauerei und Ehemann von Emilie Mautner Markhof gewidmet ist.
„Gesänge bei der Einweihung des erweiterten evangel. Friedhofes und der Reininghaus’schen Kapelle“
Grabanlage/Kapellenbau „Familie Reininghaus“, wenige Meter südwestlich des Reininghaus-Monuments / Evangelischer Stadtfriedhof St. Peter/Graz.
Kapellenbau „Familie Reininghaus“, Evangelischer Stadtfriedhof St. Peter/Graz.
Grabanlage/Kapellenbau „Familie Reininghaus“, Rückseite.
Seitenfenster im Kapellenbau „Familie Reininghaus“
Stamm Johann Peter von Reininghaus (li) und Stamm Julius Reininghaus (re) im inneren der Grabkapelle.
„Der gelieben Tochter“ Martha Baronin Odelga (25. Juni 1859 – 27. März 1890), Tochter von Johann Peter und Therese von Reininghaus.
Gustav I. von Reininghaus, erster Sohn von Johann Peter und Therese (25.5.1851 – 27.5.1883). Reliefbüste des Künstlers Hans Brandstätter, signiert 1904.
Oberhalb von Gustav I. von Reininghaus die Gedenktafel „Unser liebes Gretchen (22.11.1860 – 2.9.1861).
Julius und Emilie Reininghaus, geb. Mautner v. Markhof. Darunter Sohn Carl, dessen erste Tochter Maria und sein erster Sohn Julius.
Gedenktafel für die Nachfahren von Carl Reininghaus, dem ersten Sohn von Julius Reininghaus.
Maria Schneider-Reininghaus,, dritte Ehefrau von Carl Reininghaus (7. Feb. 1876 – 13. Feb. 1956).
Mag. pharm. Elisabeth von Reininghaus (11.3.1920 – 17.1.2011)
August Reininghaus, geb. 8. Nov. 1815, gest. 22. Dec. 1899, einer der drei Brüder von Johann Peter und Julius Reininghaus
Peter Roseggers Briefe – von Krieglach über Graz nach München und zurück
/in Reininghaus/Linie 1 /von Ulrike Reininghaus2020, beim Sichten und Sortieren des Familiennachlasses in Mauern, fiel in einem der hintersten Winkel des Hauses, meinem Mann Abi und mir ein alter Umschlag in die Hände, auf dem kaum leserlich in der Handschrift meines Schwiegervaters Dieter v. Reininghaus „Rosegger“ mit Bleistift geschrieben stand. Abi und mir war bislang nur bekannt gewesen, dass die Beziehung zwischen seinem Ururgroßvater Johann Peter von Reininghaus (1818 – 1901) und dem 25 Jahre jüngeren österreichischen Schriftsteller Peter Rosegger (1843 – 1918) hauptsächlich auf Basis der finanziellen Zuwendungen durch den älteren Mäzen bestanden hatte. So wie es auch im Wikipedia-Eintrag über ihn steht: „Unterstützt wurde er von dem Industriellen Johann Peter Reininghaus, der in Graz-Reininghaus eine der größten Brauereien Österreichs betrieb.“ Dass den Großunternehmer und den „Waldbauernbub“ jedoch eine tiefe und sehr persönliche Freundschaft verbunden hatte, wurde uns erst beim Lesen des Inhalts nach dem doch ziemlich herausfordernden Transkribieren der Rosegger’schen Briefe klar.
In dem unscheinbaren Umschlag befanden sich neben sechs Briefen an Johann Peter von Reininghaus aus den Jahren 1888 bis 1897 auch noch ein Antwortbrief von diesem, dazu vier beschriebene Rosegger-Visitenkarten, eine Ausgabe der von ihm herausgegebenen Monatsschrift „Heimgarten“ und ein handgeschriebenes Gedicht. In dem Heimgarten-Heft von Oktober 1898 hatte er eine vierseitige Laudatio zum 80. Geburtstag seines „theuren Freundes“ Reininghaus abgedruckt, den er immer nur Peter oder Peterl nannte.
Außerdem befand sich im Haus auch noch der gerahmte Druck eines Porträts von Peter Rosegger, gemalt 1910 von Ferdinand Pamberger (1873 – 1956), unten mit der handschriftlichen Widmung des Schriftstellers versehen: „Der allverehrten Frau Therese von Reininghaus in treuer Anhänglichkeit und Dankbarkeit. Graz, am 4. Mai 1912, Peter Rosegger“.
Zum Glück hatten alle Schriftstücke ohne Stockflecke und Kellergeruch die vielen Jahrzehnte ihres Mauerblümchendaseins überstanden. Und wir freuten uns sehr, dass sie im Zusammenhang mit unseren vielen Informationen über die „Reininghaus/Linie 1“ auch auf dieser wunderbaren Webseite veröffentlicht wurden.
Danach beschlossen wir, alle Rosegger-Erinnerungen trotz des hohen ideellen Wertes nicht wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen, sondern in die fachgerechte Obhut des Rosegger-Museums in Krieglach – das zum Universalmuseum Joanneum gehört – zu überführen. Der Kontakt zur Sammlungskuratorin Frau Mag. Bianca Russ-Panhofer verlief außerordentlich positiv und so planten wir hochmotiviert, im Frühjahr 2020 von München nach Krieglach zu fahren – nicht ahnend, dass uns Corona einen langen Strich durch die Rechnung machen würde …
Im August 2023 war es dann endlich soweit und wir wurden in der leicht verregneten Steiermark herzlich empfangen. Frau Russ-Panhofer gab uns eine ausführliche, hochinteressante Privatführung durch die Dauerausstellung „Wem gehört der Großglockner“ über Roseggers Leben und Schaffen und die Sonderausstellung „Wachsen hier die Dichter auf den Bäumen?“ über den Besuch der zahlreichen prominenten Freunde, Bekannte und Verehrer in dessen Sommerdomizil. Dort waren auch gleich die beiden Fotos der Ururgroßeltern platziert, die wir zur Ausstellungseröffnung im April 2023 dem Museum zur Verfügung gestellt hatten; sehr schön in einer Vitrine aufbereitet. In beiden Häusern ließen diverse Hinweise und Ausstellungsgegenstände die intensive Beziehung des Dichters mit der Reininghaus-Familie erkennen, darunter eine geschnitzte Truhe im Arbeitszimmer – ein Geschenk von Therese von Reininghaus zu seinem siebzigsten Geburtstag – die „Reininghaus“-Linde im Garten, die er seinem Freund „Peterl“ von Reininghaus gewidmet hatte, und die Unterschriften mehrerer Familienmitglieder – darunter mehrfach Johann/Hans und Virginia/Gina von Reininghaus – im virtuell einsehbaren Gästebuch. Nach dieser schönen Zeitreise und der offiziellen Übergabe inklusive Dokumentation unserer Rosegger-Erinnerungen für die Schenkungsurkunde, machten wir uns auf den Weg nach Graz, um uns dort noch weiter auf die historischen Spuren der Familie – u. a. die Reininghausgründe – zu begeben.
Ulrike/Rike und Albrecht/Abi Reininghaus in Roseggers Arbeitszimmer in Krieglach.
Das Rosegger-Museum in Krieglach, 1877 als Sommer-Landhaus für ihn und seine Familie errichtet.
Das „Studierhäusl“, 1896 im Garten hinter dem Sommerhaus erbaut.
Peter Roseggers Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer in Krieglach.
Info-Text in der Dauerausstellung über das Kennenlernen von Rosegger und der Familie Reininghaus.
Ausstellungsvitrine im Studierhäusl mit Fotos aus dem Familiennachlass.
Rudolf Falb, Johann Peter von Reininghaus, Förderer und Freund Roseggers.
Bierdeckel mit Rosegger-Zitaten und eine Karte von Therese v. Reininghaus aus dem Hardter Schloss.
Visitenkarten der Rosegger-Besucher Therese und „Peterl“ von Reininghaus.
Visitenkarten von Therese und Johann Peter „Peterl“ v. Reininghaus.
„Peter Rosegger im Lehnstuhl“, Ferdinand Pamberger, Graz 1910.
„Dem gottbegnadeten Dichter Dr. Peter Rosegger zum siebzigsten Geburtstag. In alter, treuer Freundschaft gewidmet von Therese v. Reininghaus.
„Siehe die Festesgrüße der Verehrung, Liebe und Bewunderung“.
Albrecht:Abi und Ulrike:Rike Reininghaus mit Museumskuratorin Mag. Bianca Russ-Panhofer.
Peter Roseggers Sterbezimmer in Krieglach.
„Diese Holztafel hing auf jener Linde im Krieglacher Garten, die Rosegger seinem Freund Peter Reininghaus widmete. Darunter stand eine Bank, auf der Rosegger oft Platz nahm“.
Mautner Markhof und die Österreichische Campagnereiter-Gesellschaft
/in Allgemein /von Theodor Heinrich Mautner MarkhofWie schon mein Vater, Manfred II. Mautner Markhof, der von 1967 bis zu seinem Tod 2008 Präsident der ÖCRG war, bin auch ich Mitglied der Österreichischen Campagnereiter-Gesellschaft und freue mich das Jubiläumsbuch vorstellen zu dürfen. Der reich bebilderte Band führt durch die wechselvolle Geschichte seit der Gründung 1872, in der Glanzzeit der österreichisch-ungarischen Kavallerie, über den Zusammenbruch des Habsburgerreiches und zwei Weltkriege hinweg, bis zur Neuorganisation des Reitsports 1962 mit der Gründung des „Bundesfachverband für Reiten und Fahren in Österreich“ (nunmehr Österreichischer Pferdesportverband) und ihren Aufbruch ins 21. Jahrhundert. 150 Jahre sind seit dem Gründungsjahr der Campagnereiter-Gesellschaft vergangen. Das Rad der Geschichte hat sich unaufhaltsam weiter gedreht – und der Campagnereiter-Gesellschaft ist es gelungen, trotz dramatischer Umbrüche und mehrmaliger Neuanfänge, immer mit der Zeit zu gehen: Von den Anfängen als hoch angesehene Offiziersgesellschaft im Großreich der Habsburgermonarchie zur Wegbereiterin des modernen Reitsports in der Republik Österreich, von der Campagnereiterei als Basis der Kavallerie bis zum breit aufgestellten Pferdesport der Gegenwart mit seinen vielseitigen Sparten von klassischer Dressur, über Westernreiten, Working-Equitation, Voltigieren oder Orientierungsreiten, bis hin zum wiederentdeckten Reiten im Damensattel. War das Pferd im 19. Jahrhundert noch ein allgegenwärtiges Arbeitstier, so ist es heute vorwiegend ein wertvoller Freizeit- und Sportpartner. Der Gründungsgedanke der Campagnereiter-Gesellschaft – gutes Reiten zum Wohle des Pferdes zu fördern – spannt den Bogen zur Gegenwart und zu einer Zukunft, in der das Pferd, der Reitsport und die damit einhergehende besondere Verbindung zwischen dem Menschen und diesen schönen und faszinierenden Tieren hoffentlich weiterhin von Bedeutung sein werden.
In der außerordentlichen Generalversammlung am 6. April 1967 im Palais Pallavicini wurde Manfred II. Mautner Markhof zum neuen Präsidenten gewählt und sollte ab diesem Zeitpunkt die Geschicke der Campagnereiter-Gesellschaft über vier Jahrzehnte hinweg lenken und sie ins digitale Zeitalter des neuen Jahrtausends führen. 1971 hatte er zusätzlich zur Präsidentschaft der Campagnereiter-Gesellschaft Wien auch die Präsidentschaft des Wiener Landesfachverbandes für Reiten und Fahren übernommen und 1987 auch die Leitung des entsprechenden Bundesfachverbands. Als in den 80er Jahren das Interesse des Publikums am Stadthallenturnier nachließ, nahm er sich der Sache an und ließ seine hervorragenden internationalen Kontakte spielen, um die Neuauflage des Turniers zu ermöglichen. Es bekam eine Rundumerneuerung, der Eventcharakter wurde verstärkt. Man wollte nicht nur das sowieso am Reitsport interessierte Fachpublikum ansprechen, sondern mit hochklassigen Showeinlagen zwischen den Bewerben auch den Unterhaltungswert für eine breitere Zuschauerschicht steigern. Die Mischung aus Spitzensport und Entertainment erwies sich als erfolgreich und so wurde das Wiener Stadthallenturnier unter seinem neuen Namen „Fest der Pferde“ bis 2009 wieder zu einem Fixtermin des nicht österreichischen Pferdesports.
MANFRED MAUTNER MARKHOF FONDS ZUR UNTERSTÜTZUNG HIPPOTHERAPEUTISCHER MAßNAHMEN FÜR KINDER
Im Gedenken an ihren langjährigen Präsidenten hat die Österreichische Campagnereiter-Gesellschaft 2008 den Fonds ins Leben gerufen. Die Idee dafür entstand im Zuge der Vorbereitungen für die Beerdigung des im Jänner 2008 Verstorbenen, dem karitatives Engagement zeitlebens ein großes Anliegen war. Die Geldsumme der Kranzspenden bildete die Grundlage. Der „Manfred Mautner Markhof Fonds“ dient der Förderung des therapeutischen Reitens für behinderte Kinder. Das therapeutische Reiten umfasst pädagogische, psychologische, rehabilitative und sozial-integrative Maßnahmen, das Pferd ist Partner und Helfer des zu Therapierenden. Im Fokus stehen körperliche, seelische und soziale Entwicklungsstörungen oder Behinderungen, die Entwicklungsförderung des Kindes steht dabei im Mittelpunkt. Gezielt werden Familien unterstützt, die sich eine derartige Therapie nicht leisten könnten, diese aber für ihr Kind dringen benötigen. Der Fonds fördert weder Vereine noch Institutionen, sondern ausschließlich einzelne Kinder, die Vergabe der Förderungen erfolgt nach genau definierten Auswahlkriterien.
Wissenswertes zur Campagnereiter-Gesellschaft
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmten nicht mehr die Kavallerie und die Landwirtschaft das öffentliche Bild des Nutztieres Pferd, es wurde auch als Bestandteil des Freizeitverhaltens zum Wirtschaftsfaktor. Zuerst vor allem, wenn es um Wettkämpfe ging, denn der Rennsport sorgte mit der Möglichkeit zu Wetten für zusätzliche Spannung. So entstand bald das Bedürfnis Reitern auch in anderen Disziplinen Wettkampfgelegenheiten anzubieten. Die Österreichische Campagenreiter-Gesellschaft wollte diese Lücke schließen – weg vom rein militärischen Zweck der Erziehung von Pferden hin zur sportlichen Entwicklung. Auch sollte neben Offizieren ebenfalls Zivilisten Gelegenheit geboten werden in Vergleichskämpfen ihr Können zu beweisen. Dominierten anfangs Offiziere das Geschehen, löste sich die Gesellschaft bald von dieser einseitigen Betrachtung; die Orientierung nach dem Begriff Campagnereiten brachte dies zum Ausdruck. Das Streifen durch die Natur auch hoch zu Pferd zu genießen gewann immer mehr an Anhängerschaft, sodass langfristig die Notwendigkeit entstand das Tier auch im Gelände zu gymnastizieren, damit es gesund und leistungsfähig bliebe. So entwickelte sich aus dem formlosen Spazierenreiten die Campagnereiterei. Die Österreichische Campagnereiter-Gesellschaft stellte von Anfang an das Wohl des Pferdes in den Mittelpunkt. Selbsthaltung, Takt, Frische und Ausdauer sind die Ziele sinnvollen Campagnereitens. Da war es dann auch zum Turniersport nicht mehr weit. Es wurden bald Regeln der Fairness aufgestellt und man organisierte die Wettbewerbe in allen Sparten des Reitens. Diese Rolle sollte die Gesellschaft fast 100 Jahre lang ausüben, bevor der Bundesfachverband für Reiten und Fahren (heute Österreichischer Pferdesportverband OEPS) diese Aufgabe übernahm. Seither ist die Österreichische Campagnereiter-Gesellschaft Wien eine gemeinnützige Serviceorganisation für alle Reiter, die nicht ortsgebunden organisiert sein wollen.
Wissenswertes zur Campagnereiterei
In Bezug auf ihre Kavallerie war die österreichisch-ungarische Armee eine Großmacht und ihre Militärreitinstitute und das System der Reitausbildung auch international höchst angesehen. Dies ist dem Umstand zu danken, dass in der Habsburgermonarchie, im Gegensatz zu den anderen europäischen Ländern, die Campagnereiterei die Hohe Schule nicht gänzlich ersetzte, sondern beide Schulen nebeneinander existierten. Als Maria Theresia 1752 die Wiener „Campagne-Reitschul“ gründet, wird die „K.K. Stadtreitschule“ (Spanische Hofreitschule) nicht aufgelöst, sondern beide Institute als „K.K Hofreitschulen“ parallel beibehalten. Die Symbiose beider Schulen, die gegenseitige Beeinflussung, die Nutzung der Synergien waren der Grund für die weiterhin hohe Qualität der Reiterei in der Donaumonarchie. Campagnereiterei – ein Hauch von Nostalgie und vielleicht auch Verwegenheit weht über diesem Wort. Doch zur Gründungszeit der Campagnereiter-Gesellschaft war sie Basis und Herzstück der „Abrichtung“ eines Pferdes für die „Gebrauchsreiterei“ und betraf vornehmlich die Ausbildung der Pferde für den Einsatz in der Kavallerie. Unter dem Stichwort „Reitkunst“ findet sich im Brockhaus von 1839 folgende Definition: Die letztere zerfällt noch in die sogenannte Schulreiterei, welche die kunstmäßige Ausführung einer Menge sehr schwieriger Gangarten, Wendungen, Sprünge und sogenannter Schulen von Pferd und Reiter vorzugsweise verlangt, und in die sogenannte Campagnereiterei, welche nur die zweckmäßige Übung der Reiter und Behandlung der Pferde für die Erfordernisse des Dienstes der Reiterei in sich schließt. Der Reiter muß zu diesem Zwecke gewandt auf- und absitzen können, sicher im Sattel sitzen und die Bewegung des Pferdes in jeder natürlichen Gangart nach allen Richtungen, das Übergehen aus einer in die andere, das plötzliche Anhalten auf der Stelle oder das sogenannte Pariren, sowie die Ausführung der beim Cavaleriedienst eingeführten Bewegungen in geschlossener und zerstreuter Ordnung so viel als möglich in seiner Gewalt haben. Noch im 17. Jahrhundert zählten die Figuren und Lektionen der Hohen Schule zum Repertoire des Offizierspferdes beim Einsatz im Feld. Die Campagnereiterei stellte die moderne Form der Kavallerie dar, der bis zum Ersten Weltkrieg „das Feld gehörte“ und bildete im 20. Jahrhundert, als die zunehmende Motorisierung den Einsatz von Reitertruppen obsolet machte, die Grundlage für alle Disziplinen des heutigen Reitsports.
Das Campagnepferd
Im Gegensatz zu den schwereren kompakten Pferden der Barockzeit, war das Ideal des modernen Kavalleriepferdes der leichte Warmbluttyp und für die höheren Offiziere, deren reiterliches Können über dem Durchschnitt lag, auch gerne mit hohem Vollblutanteil – sie konnten mit dem Temperament dieser eleganten, aber hochsensiblen Pferde umgehen und ein repräsentatives Bild abgeben – das Bild des berittenen Offiziers, wie wir es aus vielen Darstellungen des 19. Jahrhunderts kennen. Doch es sind auch die inneren Werte, die zählen: Friedrich von Krane beschreibt 1856 in seinem Buch „Die Dressur des Reitpferdes“ die Eigenschaften, die ein Campagnepferd ausmachen: Von ihm verlangt man die Fähigkeit unter bedeutendem Gewichte, bei jedem Wetter, bei mässigem Futter und mässiger Pflege andauernd in einer Haltung zu gehen, welche ihm jede Gangart, Wendung und Parade gestattet. Es soll sicher und furchtlos mässige Hindernisse nehmen und vertrauensvoll dahin gehen, wohin der Reiter es immer führen mag; dann aber auch fromm und verträglich gegen Menschen und Pferde sein. Gewandtheit ist ihm ebenso nöthig, wie Schnelligkeit und Dauer. Das Campagnepferd war also vor allem ein Allrounder, mit genaugenommen den Vorzügen, die wir uns heute auch von einem verlässlichen Freizeitpferd wünschen – ein solide ausgebildetes, rittiges und durchlässiges Pferd, das dem Menschen im Sattel vertraut und unkompliziert im Umgang ist. Für einen Reiteroffizier war das Pferd jedoch nicht nur „Beförderungsmittel“ oder „Sportgerät“, er stand in enger Verbindung zu seinem Tier, es war sein engster Kampfgefährte. Im Ernstfall konnte das Verhalten des Pferdes über Leben oder Tod seines Reiters entscheiden. Daran mag man die Bedeutung ermessen, die der erfolgreichen Ausbildung des Pferdes zukam.
Jubiläumsbuch 150 Jahre Östereichische Campagnereiter Gesellschaft
Österreichische Campagnereiter-Gesellschaft
Hofburg, Batthyanystiege, Mezzanin, 1010 Wien
Tel.: 01/ 533 70 46, E-mail: oecrg@reitenwien.at
Druckkostenbeitrag € 49,90, zuzüglich Versand
Hertha und Gustav Jäger – Frauenrechtlerin und Physiker
/in Carl Ferdinand Ritter Mautner von Markhof /von Beate HemmerleinFrauenrechtlerin der ersten Stunde
Hertha Anna Editha Mautner von Markhof (* Wien 23.11.1879, † Rodaun 8.7.1970) wurde als erstes Kind der zweiten Ehe von Carl Ferdinand mit Editha Sunstenau von Schützenthal geboren. Sie genoss eine exzellente Ausbildung und war begeisterte Pianistin sowie hervorragende Bergsteigerin. Bald trat sie in die Fußstapfen ihrer Mutter und engagierte sich ab 1902 für viele Frauenrecht und war im November 1903 Mitbegründerin des „Neuen Frauenklubs“, wo sie als Kassiererin in den Vorstand gewählt wurde. Dieser Klub wurde bald Mitglied des „Bundes österreichischer Frauenvereine“, der von Marianne Hainisch, der Mutter des späteren Bundespräsidenten der Ersten Republik, gegründet wurde und in dem nur bürgerlich-liberale, nicht aber die sozialdemokratische Vereine vertreten waren. Auch dort wurde sie 1918 in den Vorstand gewählt und blieb bis zu seiner zwischenzeitlichen Auflösung 1938 Vereinskassiererin. 1905 unterzeichnete Hertha Jäger einen in der „Neuen Freien Presse“ veröffentlichten Aufruf „An die Frauen Wiens“, der das Frauenwahlrecht forderte. Denn es hieß unter anderem: Ausgeschlossen davon (vom Wahlrecht) sollen in Hinkunft nur die Verbrecher, die Bettler, die notorisch Schwach- und Irrsinnigen und die Frauen sein. 1907 scheint Hertha Jäger unter den Gründungsmitgliedern des „Vereins zur Förderung höherer kommerzieller Frauenbildung“ auf, der für die Errichtung einer Handelsakademie für Frauen in der damaligen Stephaniestraße 16 (heute Hollandstraße) eintrat. Ziel dieser Akademie war es, Frauen durch fundierte Ausbildung bessere und damit höher dotierte Positionen im Arbeitsumfeld zu ermöglichen. Hertha Jäger bedauerte in ihren Publikationen wiederholt, dass der Grund für Frauenarmut vor allem der schwieriger Zugang zu Bildungseinrichtungen sei. Auch war sie Vorkämpferin des Schutzes junger Mütter und 1907 Mitbegründerin und kurzfristige Vizepräsidentin des „Österreichischen Bundes für Mutterschutz“, der gemäß seinen Statuten hilf- und schutzlose Mütter und ihre Kinder… vor wirtschaftlichen und sittlicher Verkümmerung bewahren und teils durch Gewährung von Unterstützungen, teils durch Errichtung von Heimstätten für junge Mütter und Kinder und von Zufluchtsstätten für arme Frauen und Mädchen, die ihrer Niederkunft entgegensehen, helfen sollte. 1913 nahm sie als eine der österreichischen Delegierten an der Internationalen Frauenstimmrechtskonferenz teil –es sollten jedoch noch weitere sechs Jahre bis zum allgemeinen Frauenwahlrecht vergehen. Erwähnenswert ist auch Herthas Artikel „Über die sexuelle Erziehung unserer Kinder“, der in der Zeitschrift „Frau und Mutter“ im Jahr 1918 erschien und viele aus heutiger Sicht überraschend fortschrittliche Erziehungsmethoden beschreibt. Das, was man heute als „Kindeswohl“ definiert, war ihr bereits damals ein Anliegen und als moderne Mutter wollte sie ihren Kindern möglichst viel Freiheiten gönnen.
Bekannt war auch Hertha Jägers Salon, in dem sich nicht nur Künstler und Avantgardisten (wie im Nebenhaus bei ihrer Schwester Dita und ihrem Mann Kolo Moser) trafen, sondern ebenso emanzipierte Frauen und deren Unterstützer. Ihre hohe soziale Kompetenz zeigte sich auch während des Ersten Weltkrieges, als sie sich in dieser schwierigen Zeit im Landstraßer Bezirksamt ehrenamtlich der Säuglings- und Kinderfürsorge annahm.
Hertha Jäger mit drei ihrer Kinder, 1915
Hertha Jäger, ca. 1960
Sie durfte mit Gustav Jäger einen Partner wählen, der weder adelig noch zu diesem Zeitpunkt prominent war, so dass man davon ausgehen kann, dass es sich um eine Liebesheirat handelte. Hertha und Gustav heirateten 1898 und zogen 1902 in die neu errichtete „Villa Jäger“ auf der Landstraßer Hauptstraße 140 – 142, die zwei kleine barocke Häuser aus dem Jahr 1774 ersetzte, ein. Während für die Nachbargrundstücke Carl Ferdinand und nach dessen Tod 1896 seine Witwe Editha im Grundbuch standen, war Hertha sofort Eigentümerin der Immobilie, weil sie aus dem Erbe ihres Vaters errichtet wurde. 1917, durch Erlass der Niederösterreichischen Statthalterei, wurde der Familienname von Jäger in Jäger-Sunstenau festgelegt, um dadurch den Namen Sunstenau auch für die Nachkommen zu erhalten. Gustav und Hertha hatten sechs Kinder, wobei drei ihrer Söhne relativ jung verstarben. Die älteste Tochter Magda (1899 – 1942) ehelichte Heinrich Prelinger und war eine der ersten Frauen, die als Doktorin der Rechtswissenschaften an der Wiener Universität promovierte. Die bereits in der neuen Villa geborene Hilde (1903 – 1989) ehelichte 1924 den Literaturgelehrten und späteren Direktor der Museen der Stadt Wien, Franz Glück (Sohn Wolfgang Glück). Herthas Sohn Professor h. c. Hanns Jäger-Sunstenau (1911 – 2008) war weltweit anerkannter Genealoge und mit seiner Frau Hilda und den drei Kindern das letzte Familienmitglied, das die Villa bewohnte. Hertha selbst starb 1970 91jährig in Rodaun, wo sie über die Sommerferien hinweg untergebracht war.
Theoretischer Physiker
Gustav Jäger kam 1865 in Schönbach bei Asch in Böhmen (heute Krásná) zur Welt und studierte seit 1883 Physik und verwandte Naturwissenschaften sowie Mathematik an der Wiener Universität. Er habilitierte 1891 bei Ludwig Boltzmann als Assistent für theoretische Physik und wurde, als er Hertha kennenlernte, Extraordinarius und bald darauf Professor an der Technischen Hochschule. Im Studienjahr 1915/16 wurde ihm die Rektorenwürde übertragen, 1918 wurde er auch Ordinarius und 1920 Vorstand des Zweiten Physikalischen Instituts. Jäger beschäftigte sich unter anderem mit Boltzmanns kinetischer Gastheorie und deren Anwendungen, zum Beispiel für die Frage der inneren Reibung von komprimierten Gasen in langen Rohrleitungen in der Chemischen Industrie. Er befasste sich auch mit Raumakustik (Jäger-Sabine-Formeln bzw. Sabine-Frankel-Jäger Theorie, angewandt unter anderem für den Nachhall in Konzertsälen), Schallausbreitung und dem Strömungswiderstand von Körpern in Flüssigkeiten und Gasen, mit Lichtdruck, Stereoskopen und den chemischen Prozessen bei der Fotografie. 1903 widerlegte er einen Einwand des Physikers Hermann von Helmholtz gegen den Motorflug und trug damit dazu bei, diesen in den Augen der Physiker in den Bereich des Möglichen zu rücken. Er unterstützte auch, genauso wie sein Lehrer Boltzmann, den österreichischen Flugzeugpionier Wilhelm Kress. Diese blieb mangels ausreichender Finanzierung leider erfolglos. Er wurde zum Hofrat ernannt und war wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften von Wien und Halle an der Saale sowie Mitglied der Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften und Künste in der Tschechoslowakei. Er starb 1938 in Wien, sodass Hertha ihn um 32 Jahre überlebte. 1962 wurde der Park neben dem Technischen Museum nach ihm benannt.
Gustav Jäger
Gustav Jägers fünfbändige „Theoretische Physik“ wurde nach ihrem Erscheinen 1898 sechs Mal aufgelegt.
Rosa Rosà – Enkeltochter von Carl Ferdinand Ritter Mautner von Markhof
/in Carl Ferdinand Ritter Mautner von Markhof /von Beate HemmerleinCarl Ferdinands älteste Tochter, Harriet, heiratete Ernst Baron von Haynau, einen Nachkommen jenes berüchtigten k.u.k. Offiziers Julius von Haynau, der nach der Revolution 1848 alle Feinde der Monarchie gnadenlos bekämpft hatte und wegen seiner vielen Todesurteile in Ungarn heute noch als „persona non grata“ gilt. Ihre gemeinsame Tochter Edith (18.11.1884 – 1978, verehelichte Arnaldi) besuchte für zwei Jahre die Wiener Kunstschule für Frauen und Mädchen. 1908 heiratete sie den ebenfalls künstlerisch ambitionierten italienischen Juristen und Journalisten Ulrico Arnaldi, zog mit ihm nach Rom und bekam zwischen 1909 und 1915 vier Kinder.
Unter dem Pseudonym Rosa Rosà wurde Edith künstlerisch tätig und berühmt, ihre Werke wurden im New Yorker Guggenheim Museum gezeigt. Der italienische Künstler Filippo Tommaso Marinetti (1876 – 1944), Kopf der avantgardistischen Futuristen, nannte sie „la geniale Viennese“. Obwohl die Malerin, Schriftstellerin und Fotografin zu den großen Vergessenen der österreichischen Kunst- und Kulturgeschichte zählt, werden ihre Werke heutzutage immer wieder gewürdigt, wie z. B. auf der Biennale von Venedig.
Edyth von Haynau, bekannt unter dem Pseudonym Rosa Rosà