Doris Engelhart – Sezessionisten Gattin, Künstlerin und Mutter
Dorothea „Doris“ (*Wien 8.4.1871, † Wien 8.7.1970) wurde als siebentes Kind von Carl Ferdinand Mautner von Markhof und letztes Kind seiner ersten Ehefrau Johanna Leopoldine Kleinoschegg (* Graz 6.8.1846, † Wien 28.6.1872) geboren. Der frühe Verlust der leiblichen Mutter hatte sie zeitlebens geprägt, obwohl sie ihrer Stiefmutter Editha Sunstenau von Schützenthal immer das beste Zeugnis ausgestellt hatte; diese scheint stets bemüht gewesen zu sein, den sieben Kindern aus erster Ehe ihres Mannes die Mutter liebevoll zu ersetzen. Sie besuchte das „Sacré Coeur“ und war auf dem Gebiet der bildenden Künste begabt. Bestickte Bänder und phantasievoll gemalte Kinderbücher waren unter anderem Ausdruck ihrer Kreativität.
So scheint es fast unausweichlich, dass sie sich in Josef Engelhart verliebte, dessen elterlicher Garten direkt an den der Mautner Markhofs im 3. Wiener Gemeindebezirk angrenzte. Carl Ferdinand war fürs Erste über den Antrag des progressiven Künstlers wenig erfreut und seine Ablehnung verursachte Kränkung auf beiden Seiten der Verliebten. Dorothea wurde für einige Jahre nach München geschickt – zur Vervollkommnung ihrer künstlerischen Ambitionen – wie es hieß. Josef ging nach Paris, um dort viele seiner bedeutendsten Werke zu schaffen. Die Unmöglichkeit ihres Vorhabens hatte die beiden jungen Menschen nur noch mehr zusammen geschweißt und es war auch während dieser Zeit zu mehreren geheimen Treffen gekommen. Die Hartnäckigkeit trug ihre Früchte und so stand auch Carl Ferdinand einem neuerlichen Antrag nicht mehr im Wege. Ein Segen für die Nachwelt, denn, so hatte Josef Engelhart in sein Tagebuch geschrieben „…sollte die Doris nicht meine Frau werden können, dann würde ich auch die Kunst wegwerfen, weil ich an ihr keine Freude mehr haben könnte…“. Am 22.11.1895 kam es schließlich zur Vermählung.
Das junge Paar führte dann eine sogenannte Künstlerehe, in der es im Gegensatz zu denen der meisten ihrer Schwestern nicht sehr vornehm zuging. Ihre Tochter Josefine schreibt in der Familienchronik: Da sich mein Vater hauptsächlich im Atelier aufhielt, entstand ein Eigenleben – ja man könnte sagen, daß sowohl der Künstler als auch die Familie eine Art Eigendynamik entwickelte, die zu einer Entfremdung führen musste. Mein Vater war nie ein Familienvater, sondern immer nur Künstler. Engelhart selbst wurde vor allem durch seine zahlreichen Bilder von Wiener Typen bekannt, er war aber auch ein erfolgreicher Bildhauer und entwarf gemeinsam mit Jože Plečnik anlässlich des 60. Geburtstags von Karl Lueger den Karl-Borromäus-Brunnen vor dem Bezirksamt Landstraße und das Waldmüllerdenkmal im Rathauspark. Die Ablehnung seines Bildes „Die Kirschpflückerin“ durch das Künstlerhaus war Anlass für die Gründung der Wiener Sezession. In seinem Atelier trafen sich bei ausschweifenden Festen die „jungen Wilden“ der Wiener Secession, unter anderem Kolo Moser, der auch den Kachelschmuck an der Fassade entworfen hatte.
Im Laufe der Ehe verschlechterte sich auch Engelharts Verhältnis zu seiner Schwiegermutter zusehends, da diese der Meinung war, dass er ihre Tochter zu sehr unterdrückte. Er hätte ihr sogar das Malen untersagt, was in den Augen einer engagierten Frauenrechtlerin natürlich völlig inakzeptabel war. Man erzählt sich, dass Engelhart den Drachen über seinem Haus in der Steingasse 15 Editha „gewidmet“ haben soll.
Doris und Josef hatten sechs Kinder. Beider Sohn Prof. Dipl.-Ing. Dr. Michel, das älteste, wurde später ein bekannter Architekt und Professor an der Technischen Hochschule, der sich nach 1945 beim Wiederaufbau des Zuschauerraums im Burgtheater, des Tiergartens Schönbrunn, des Stiftes Melk und des Palais Schwarzenberg auszeichnete. Elisabeth „Lisi“, die Zweitgeborene, ehelichte den Physiker und Radiotechniker Univ.-Prof. Dr. Robert Ettenreich (Mitbegründer der Wiener Radiowerke und Urenkel Josef Ettenreichs, des Lebensretters von Kaiser Franz Joseph I.). Susanne „Susi“ war Schauspielerin und mit dem Arzt Georg Spornberger verheiratet. So wie Michel, hatten auch die weiteren Töchter Christine, Maria und Josefine keine Nachkommen.
Die beiden hatten schließlich ihre letzten Jahre – bei meiner Dorothea waren es zwanzig, bei Josef weit weniger – getrennt voneinander, aber in Frieden miteinander, verbracht.
BERICHT VON JOSEF „JUSSI“ AZIZI
„Ich habe sie persönlich noch wirklich gut gekannt und sehr lieb gehabt. Wir nannten Sie „Omama“, obwohl sie eigentlich unsere Urgroßmutter war. Sie starb im Sommer 1967, als ich schon 19 Jahre alt war. Zu ihren zahlreichen Schwestern unterhielt sie durchwegs sehr freundliche Kontakte. Ein besonders inniges Verhältnis hatte sie meiner Wahrnehmung nach zu Tante Hertha Jäger, mit der sie immer wieder zusammentraf.
Doris Engelhart war zeichnerisch und malerisch hoch begabt. Sie lernte in erster Linie bei Tina Blau, ferner u.a. auch bei Alfred Roller und später an der Münchner Kunstakademie. Jede Woche kam sie zu meinen Eltern – mitunter auch zu meiner Großmutter Lisi Ettenreich – zu einem jour fixe-Mittagessen. Sie war außerordentlich phantasiebegabt und erfand die wunderbarsten Märchen, die sie über die Zeit hinweg fortspann und uns Kindern als bezaubernde Fortsetzungsgeschichten von Woche zu Woche weitererzählte.
Für jedes von uns Kindern verfasste sie liebevoll von ihr selbst gereimte und bunt illustrierte Kindergeschichten, von denen ich einige noch heute besitze. Sie kannte und rezitierte manchmal verschiedenste Gedichte auswendig und war sehr musikalisch; ganz selten habe ich sie auch zart und behutsam ohne Noten einige Takte Klavier spielen gehört.
Sie erzählte uns immer wieder aus ihrer Kindheit (aus ihrem Elternhaus und dem Sacré Cœur) und war eine gute Schachspielerin. Vor allem aber war sie – in aller Bescheidenheit und Unaufdringlichkeit – durch und durch eine wirkliche Dame in des Wortes ursprünglicher Bedeutung. Mit anderen Worten: man konnte ohne jeden Zweifel sicher sein, dass sie sich allein und im stillen Kämmerlein oder in völliger Finsternis ebenso elegant, wohlerzogen und edel verhalten würde, wie in Gegenwart anderer Personen. Als ich sie im hohen Alter kannte, hatte sie ihr gesamtes Vermögen verloren oder verschenkt und musste von ihrem Sohn erhalten werden. Dessen ungeachtet ließ sie es sich partout nicht nehmen, nach unseren wöchentlichen Mittagessen der Köchin unserer Familie regelmäßig ein Trinkgeld zu geben.
Meine Urgroßmutter ist mir als überaus feinsinniger und herzensguter Mensch in Erinnerung geblieben. Sie war tief religiös, besuchte jeden Tag die Messe und war Mitglied einer Konferenz des Vereins vom Hl. Vinzenz von Paul („Vinzenz von Paul-Gesellschaft“). Als sie schon weit über 80 Jahre alt war, gelobte sie, fortan nicht mehr auf die bereits abfahrende (damals noch offene) Straßenbahn aufzuspringen. Ihre zierliche Gestalt, stets in bodenlange tief schwarze Gewänder und mit einem kleinen schwarzen Strohhut gekleidet, wirkte so unscheinbar, dass sie jahrelang in der Straßenbahn vom Schaffner übersehen wurde. Mit 90 Jahren gelobte sie, nicht mehr als blinde Passagierin „schwarz zu fahren“, und drängte sich auch durch überfüllte Straßenbahnwaggons bis zu dem Schaffner, um ihren Fahrschein entwerten zu lassen.
Hoch betagt wurde sie Opfer eines Verkehrsunfalls: ein Taxi mit überhöhter Geschwindigkeit kollidierte mit ihr und schleuderte sie dabei hoch in die Luft. Bei dem anschließenden Strafprozess verzichtete sie jedoch auf jeglichen Schadenersatz einschließlich der erheblichen Spitalskosten. Ihr Sohn, mein Großonkel Michel Engelhart, war darüber sehr verärgert, weil ja nun er die Heilungskosten zu tragen hatte. Auf seine Frage, warum sie auf Schadenersatz durch den Taxifahrer verzichtet habe, antwortete meine Urgroßmutter: „Ich habe gehofft, dass ich dadurch seine Seele rette.“
Als ich im Alter von vier Jahren mit schwerer beidseitiger Nierenentzündung – dem Tode näher als dem Leben – wochenlang im Spital lag, war mein liebster Gefährte eine von meiner „Omama“ eigens für mich genähte Stoffpuppe. Diese trug den Namen Abbas (nach einem persischen Cousin von mir). Der Umstand, dass ich aus hygienischen Gründen diese Stoffpuppe nach meiner unverhofften Rettung und Genesung im Spital zurücklassen musste, blieb mir bis heute in sehr schmerzhafter Erinnerung.