Heraldisch-Genealogische Gesellschaft „ADLER“
DIE GEMEINNÜTZIGE GESELLSCHAFT „ADLER“ IN WIEN, FORSCHUNGSHELFERIN FÜR WISSENSCHAFTLER, STUDIERENDE UND LAIEN.
Als langjähriger Präsident dieser Gesellschaft möchte ich allen Interessierten einen kurzen Einblick geben. Dem versierten Geschichts- und Familienforscher ist die Heraldisch-Genealogische Gesellschaft „Adler“, mit Sitz in Wien, international längst wohlbekannt. Auch im Rahmen des Unterrichts am „Institut für Österreichische Geschichtsforschung“ werden die Kursteilnehmer zum Abschluss der Pflichtvorlesung über Genealogie (Namens- und Sippenforschung), Heraldik (Wappenkunde) und Sphragistik (Siegelkunde) auf die Gesellschaft verwiesen, welche durch ihre große Bibliothek einen hervorragenden Überblick über diese Fächer bietet. Vielen ist jedoch die Existenz, das Wesen und Wirken dieser privaten Vereinigung nach wie vor unbekannt. Eine Darstellung der Geschichte des „Adler“, seines Sinns und Zwecks, soll dem Interessierten nützliche Hinweise geben. Der „Adler“ wurde am 10. Mai 1870 gegründet und ist somit die zweitälteste heraldische Gesellschaft der Welt. Ihre Gründer, Mitglieder und Geldgeber waren hauptsächlich in österreichischen Adelskreisen zu finden, weshalb sich die Gesellschaft in den ersten vier Dezennien vorzugsweise mit Genealogie, Heraldik und Sphragistik des Adels befasste wie auch der ursprüngliche Bibliotheksbestand und die sonstigen Sammlungen zeigen.
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie bemühte sich der „Adler“, dem bürgerlichen
Wissenschaftler und Laien seine Dienste anzubieten. Auch das klein gewordene Österreich musste nach wie vor die Quellen seiner Geschichte im Rahmen der ehemaligen Monarchie suchen. Hierfür war der „Adler“ mit seinen intakt gebliebenen privaten Beständen äußerst nützlich.
Zwischen 1938 und 1945, zur Zeit des NS-Regimes, wurde der „Adler“ zwangsweise in „Verein für Sippenforschung“ umbenannt und mit der Erstellung von „Ahnenpässen“ für den Arier-Nachweis beschäftigt.
Nach Ende des zweiten Weltkrieges wurde die Gesellschaft „Adler“ mit Erlass des Bundesministeriums für Inneres von Juli 1946 unter ihrem alten Namen wiederhergestellt. Erst 1954 war es dem „Adler“ möglich, Räume im bundeseigenen ehemaligen Palais Palffy in Wien I, Haarhof 4a, als bereits viertes Quartier seit seiner Gründung zu mieten. In ihnen fanden die seit 1944 verlagerte Bibliothek und die Sammlungen ihren neuen Platz. Seit 1954 hat sich der inzwischen unter Denkmalschutz gestellte Bücherbestand des „Adlers“ verfünffacht. Neuerlicher Platzmangel und die Umwidmung des Gebäudes zwangen den „Adler“ nach 45 Jahren, Anfang 1998, abermals zur Quartiersuche. Nach der von Oktober 1998 bis März 1999 dauernden Übersiedlung, fand man in dem neu adaptierten, 233 m2 große Lokal in Wien IX, Universitätsstraße 6, nun eine neue Bleibe.
Beide Weltkriege haben Struktur und Arbeitsweise des „Adler“ verändert. Frei von politischer und gesellschaftlicher Eingrenzung liegt das Augenmerk der Gesellschaft heute auf der wissenschaftlichen Pflege von Genealogie, Heraldik und Sphragistik, in deren Eigenschaft als grundlegende Teilgebiete der Geschichts- und Kunstwissenschaft. Beiden, und auch der Denkmalpflege, kann sie zahlreiche Hilfen geben, z. B. bei der Erforschung von Abstammung und Lebensdaten für die Biographie historischer Personen, bei der Bestimmung und zeitlieben Festlegung von Auftraggeber oder Besitzer von Kunstwerken, bei der Rekonstruktion beschädigter Wappen, besonders an Bauwerken, und vielem anderen mehr.
Der „Adler“ bietet eine in Österreich einzigartige Sammlung in- und ausländischer genealogischer und heraldischer Zeitschriften zur Benützung an, welche weder in der Nationalbibliothek noch in der Universitätsbibliothek aufliegen. Die Bibliothek der Gesellschaft enthält derzeit rund 40.000 Bände Fachliteratur, deren Zahl sich laufend durch Ankäufe, Tausch oder Spenden vergrößert, samt den dazugehörigen Sach- und Autorenkatalogen. Weiters stehen große Namenskarteien zur Verfügung, zum Teil spezielle Forschung betreffend, aber auch unveröffentlichte Manuskripte ehemaliger und jetziger Mitglieder. Ahnentafeln und Stammbäume älteren und jüngeren Datums, gemalte Ahnenproben und Wappenbriefe sowie eine Sammlung originaler Adelsdiplome können eingesehen werden. Eine erst vor einigen Jahren angelegte „Biographische Sammlung“ ist bereits auf 450 Ordner angewachsen. Die vor mehr als hundert Jahren begonnene “Totenzettel-Sammlung“ (Parten) besteht aus mehr als 400.000 Stück und gilt als das größte private Parten-Archiv im mitteleuropäischen Raum. Sie ist eine der hervorragendsten und sichersten Quellen der Namens- und Familienforschung: Schließlich besitzt die Gesellschaft eine einmalige „Siegelabguss-Sammlung“ geistlicher und weltlicher Urkundensiegel des Mittelalters sowie mehrere, aus Nachlässen und Spenden stammende Sammlungen originaler Lacksiegel. Neueste genealogische und heraldische Forschungen werden in einer vierteljährlichen Zeitschrift publiziert, welche den Namen der Gesellschaft trägt. Die seit 1871 im Abstand von zwei bis drei Jahren erscheinenden Jahrbücher der Gesellschaft sind inzwischen auf den beachtlichen Stand von 55 Bänden angewachsen. Der “Adler“ steht in regem wissenschaftlichem Austausch mit allen einschlägigen in- und ausländischen Gesellschaften und Archiven. Der – oft schwierige – Kontakt wurde auch in all den Jahren trotz des „Eisernen Vorhangs“ mit den Forschern in den Oststaaten aufrechterhalten. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder und Tauschpartner beläuft sich derzeit auf etwa 700 Personen. Jährlich können mehr als 1.200 schriftliche Anfragen bearbeitet werden.
Die Benützer der Bibliothek an den öffentlichen Besuchstagen werden immer zahlreicher und bestehen bereits zur Hälfte aus Nichtmitgliedern. Zu diesen Gästen zählen neben österreichischen und deutschen Forschern in immer größerem Ausmaß die Nachkommen von ehemaligen Auswanderern, Flüchtlingen und Heimatvertriebenen. Sie gehören im letzten Jahrzehnt zu den ambitioniertesten Familienforschern.
Die an den Bibliotheksabenden ausgegebenen Bücher erreichen jährlich die erstaunliche Zahl von mehr als 3.500 Stück, nicht eingerechnet die aus der Handbibliothek entnommenen Lexika und Nachschlagwerke. Mit dem Bibliotheksdienst sind aber die Leistungen der gemeinnützigen Gesellschaft nicht erschöpft. Ehrenamtliche, meist aus dem Vereinsvorstand kommende Mitglieder beraten die Besucher bei der Suche nach Quellen und Literatur für die Aufstellung von Ahnentafeln und Stammbäumen, geben Ratschläge für die Identifizierung von Familienwappen auf Bildern, Siegelringen und anderen kunstgewerblichen Gegenständen. Sie übertragen schriftliche Wappenbeschreibungen in bildliche Darstellungen – und umgekehrt – und helfen schließlich sogar beim Lesen von Urkunden und alten Schreib- und Druckschriften, deren Entzifferung dem modernen Menschen immer größere Schwierigkeiten bereitet. Bei all diesen Forschungsproblemen wendet man sich an den “Adler“. So besteht die begründete Hoffnung, dass die Heraldisch-Genealogische Gesellschaft auch in den nächsten Dezennien ihrem Sinn und ihrer Aufgabe folgend als österreichische gemeinnützige Institution unentbehrlich bleiben wird.
Verfasst von Hanns Jäger-Sunstenau