Wiener Wirtschaftskammer und Bundesrat
Ich hatte Funktionen in den verschiedensten öffentlichen Bereichen inne, und doch sind sie alle durch einen gemeinsamen roten Faden miteinander verbunden: überall reizte mich besonders der Glaube an ein vereintes Europa, eine Vision, die übrigens Winston Churchill bereits 1946, anlässlich seiner berühmten Rede an der ETH-Zürich mit seinen „Vereinigten Staaten von Europa“ zum Ausdruck gebracht hatte. Um genau zu sein, war mir die Vorstellung einer Vereinigung Europas ein Anliegen gewesen, seitdem ich vierzehn Jahre alt war. Damals musste ich in der Ferienzeit so genannten Landdienst in Form von Erntedienst oder ähnlichen Arbeiten leisten, alle möglichen Arbeiten, die auf einem Bauernhof eben anfallen können. Ich war kein besonders großer Freund dieses Landdienstes und wünschte mir sehnlich wieder friedliche Zeiten herbei! Schon damals war mir bewusst, dass Europa nicht durch Krieg (auch nicht durch Heirat!), sondern nur durch eine Vereinigung seiner wirtschaftlichen Interessen gesund wachsen könnte. Mit der Politik selbst kam ich das erste Mal mit sieben Jahren in Kontakt, das Jahr 1934, mit all seinen Tumulten erlebten wir hautnah mit. Mein Vater weihte mich bereits damals in alle politischen Details ein und weckte dadurch schon sehr früh mein Interesse für Politik. Wie schon erzählt, fanden gleich nach dem Krieg fast jede Woche bei uns zuhause Gespräche zwischen meinem Vater und den wichtigsten Begründern der Nachkriegspolitik, Raab, Figl, Mayer-Gunthof und vielen anderen statt, bei denen ich ein stiller Zuhörer sein durfte. Dadurch konnte ich natürlich ungemein viel lernen. Alle waren wir in dieser Zeit von dem Gedanken beseelt, dass es so einen Krieg nie mehr wiedergeben dürfte. Daher war uns eine gute und richtige Politik ein sehr wichtiges Anliegen. Sowohl Julius Raab als auch Leopold Figl zeichneten sich durch ein hohes Maß an Persönlichkeit und Tapferkeit aus und ich behaupte, dass sich die Dinge ohne sie wohl auch ganz anders hätten entwickeln können. Bei den bereits oben erwähnten wöchentlichen Gesprächen ab September 1945, deren Ergebnisse die Entwicklung des Kammersystems sowie die Entstehung der heutigen Sozialpartnerschaft waren, durfte ich als damals 18-jähriger Kriegsheimkehrer oft Zuhörer sein. Ich hatte vor allem die Aufgabe, unsere Besucher oft spät in der Nacht mit einem Hefe-Lieferauto, dem einzigen Wagen, den uns die Russen zurückgelassen hatten, wieder nach Hause zu bringen. An eines dieser Gespräche kann ich mich noch besonders gut erinnern. Bei dieser Gelegenheit explizierte Raab, welches Kammersystem er sich für eine zukünftige Regierung vorstellte. Nach seinem Ermessen brauchte Österreich im Wesentlichen drei Kammern: Wirtschaftskammer, Arbeiter- und Landwirtschaftskammer. Natürlich sollte es noch eine Reihe anderer Kammern geben (wie z. B. die Ingenieurskammer, Ärztekammer, etc.), die zuerst genannten drei Kammern sollten jedoch die politischen Grundpfeiler der sich anbahnenden Sozialpartnerschaft darstellen. Eine Aussage Raabs blieb mir dabei in Erinnerung und zeigt die praktische Tragweite all dieser theoretischen Diskussionen: „Des hab´ i mit dem Böhm Schani (dem damaligen Gewerkschaftspräsidenten) ausg´macht, das hält.“ Und so war´s auch! Es brauchte damals nicht vieler notarieller Beglaubigungen, um diese Regelungen in Kraft zu setzen. Raab war ein wirklich sehr beeindruckender Mann. Überhaupt scheint es mir ein großes Glück, dass Europa in dieser schwierigen Nachkriegszeit ein paar herausragende Persönlichkeiten hatte: Deutschlands Konrad Adenauer, Frankreichs Charles de Gaulle, Italiens Alcide de Gasperi, Österreich hatte eben Raab und Figl. Raab war ein großer Realpolitiker. Die ersten Wahlen sollten im November 1945 stattfinden. Man hatte damals einfach nicht wissen können, ob die Sowjets (ich rede hier bewusst von den Sowjets und nicht von den Russen) überhaupt ein Wahlergebnis anerkennen würden, und ob sie zulassen würden, dass diese Wahlen für ganz Österreich Gültigkeit hätten. Auch wusste man nicht, ob sie einer gewählten Regierung eine Zuständigkeit für das gesamte Österreich gewähren würden. Raab meinte damals, sollte es irgendwelche Schwierigkeiten geben, müsste Österreich seine eigenen parlamentarischen Vertretungen schaffen, eine Art Quasi-Vertretung der Arbeitnehmer und –geber und der Landwirtschaft. Es kam dann Gott sei Dank so, dass die ÖVP bei den Wahlen im November 1945 eine absolute Mehrheit der Stimmen erzielen konnte. Zum großen Glück für uns wurden diese Wahlen sowie ihre gesamtösterreichische Zuständigkeit auch von den Sowjets anerkannt. Raabs schnell erfolgter Entschluss war, ganz im Unterschied zur heutigen politischen Lage, die Kammerfunktionäre so rasch wie möglich ins Parlament zu holen, um sie „gleich bei der Hand zu haben“. Er setzte durch, dass die Kammern ein sogenanntes Vorbegutachtungsrecht bekämen, was bedeutete, dass jede Gesetzesvorlage, die ins Parlament kommt, zuerst von den Kammern begutachtet und besprochen werden konnte. Diese Einrichtung besteht bis heute und hat sich als sehr nützlich erwiesen, weil sich Fachleute bereits im Vorfeld intensiv mit Gesetzesentwürfen auseinandersetzen können. Ich glaube fest daran, dass einerseits Raab´s Aussage „Des hab´ i mit dem Böhm Schani (dem damaligen Gewerkschaftspräsidenten) ausg´macht, das hält“ die Grundlage für die spätere Sozialpartnerschaft gelegt hat! Andererseits haben sicherlich die Erfahrungen in den KZs (Raab selbst war nie im KZ gewesen, aber viele andere, nicht zuletzt Leopold Figl) sehr stark dazu beigetragen haben, dass man fest entschlossen war, sich nie mehr gegenseitig die Köpfe einzuschlagen! Ein weiterer, wichtiger Coup ist Leopold Figl mit der Regelung der Vorgehensweise zur österreichischen Gesetzgebung gelungen. Und zwar war es während der Besatzung in der Nachkriegszeit so, dass ein Gesetz zuerst den Alliierten Kontrollrat (der im Haus der Industriellenvereinigung saß) passieren musste, bevor es anschließend durch das Parlament abgesegnet und schlussendlich vom Bundespräsidenten unterschrieben werden konnte. Erst wenn dieser Kontrollrat einem Entwurf einstimmig zugestimmt hatte, durfte er weitergeleitet werden. So eine Regelung barg natürlich einige große Hindernisse. Dem Kanzler Figl gelang ein guter Schachzug, indem er sich mit den Amerikanern im Vorfeld absprach und im Folgenden den anderen Alliierten Mächten den Vorschlag machte, dass eine einstimmige Zustimmung zu einem Gesetzesentwurf einer einstimmigen Ablehnung gleichgestellt werden sollte. Mit einem Wort musste also ein Gesetz einstimmig abgelehnt werden, um nicht durchzukommen! Sollte aber eine Stimme für ein Gesetz gezählt werden, konnte es nach einer 30-tägigen Wartezeit zum Gesetz werden. Auf diese Art und Weise wurde dann fast zehn Jahre lang regiert. Interessanter Weise machten die Sowjets nie Anstalten, diese Regelung ändern zu wollen – das war ein großes Glück für Österreich. Hätte Figl diese Vereinbarung nicht zustande gebracht, wer weiß, ob Österreich genauso geteilt worden wäre, wie es dann schlussendlich passiert ist. Um Leopold Figl zu charakterisieren, kann man behaupten, dass er bis zuletzt ein „Bauernbub“ geblieben ist, und das im besten Sinne des Wortes! Figl konnte keine Fremdsprache, war aber ein ausgesprochen sympathischer Mensch, der recht schnell die Herzen der Menschen eroberte. Um diese Aussage zu bekräftigen, möchte ich an eine kleine Geschichte erinnern: Es ereignete sich eines Tages, dass mich der libanesische Botschafter, in meiner damaligen Position als libanesischer Honorarkonsul, sehr aufgeregt anrief, er müsse sofort mit dem österreichischen Außenminister sprechen, weil er über ein gewisses Abkommen zwischen Österreich und Israel erfahren hätte. Mir gelang es damals rasch einen Gesprächstermin zu organisieren. Beim Eintreten sagte der libanesische Botschafter zu Figl: „Exzellenz, ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Wenn Sie jedoch keine Antwort geben wollen, bitte betrachten Sie die Frage ganz einfach als nicht gestellt.“ Figl darauf in seinem unnachahmbaren Charme: „Na na, fragen´S nur!“ Ab diesem Moment waren sämtliche Probleme bereits gelöst!
In den ersten Nachkriegsjahren war ich viel mit einer Freundesgruppe unterwegs, in der wir recht überzeugt davon waren, alle Weisheiten zu besitzen und die Welt zu verstehen. Eines Tages wurden wir durch einen Freund eines Besseren belehrt, in dem er uns darauf hinwies, wir mögen doch bitte nicht so g´scheit daherreden, wir wären noch nicht einmal Parteimitglieder. Einer dieser Freunde, Fritz Schoeller, meinte daraufhin: „Also gut, dann melden wir uns eben gleich morgen an!“ Gesagt, getan. Am folgenden Tag spazierten wir in die Falkestrasse im ersten Bezirk, wo wir Türschilder für den Wiener Wirtschaftsbund im dritten und den Bundeswirtschaftsbund im ersten Stock vorfanden. Der Bequemlichkeit halber visierten wir den Bundeswirtschaftsbund im ersten Stock an, wissend, dass wir dort eigentlich nichts zu suchen hatten. Dort empfing uns der Generalsekretär mit der Frage, wie er uns behilflich sein könnte. Als wir ihm erklärten, wir wollten Parteimitglieder werden, folgte seine sagenhafte Antwort: „Warum?“ 1960 kam ich als Vizepräsident und Vertreter der Industrie in die Wiener Wirtschaftskammer. Nachdem ich seit 1958 ÖVP Mitglied war, wurde ich in der Folge in die Landesleitung des Wirtschaftsbundes Wien und schließlich auch in die Landesparteileitung hineingewählt. Ich war dann über Jahre stellvertretender Obmann des Wiener Wirtschaftsbundes. Erwähnen möchte ich hier, dass die Kammer in den frühen Nachkriegsjahren eine wichtige Roll zur Realisierung der österreichischen Sozialpartnerschaft spielte, einer Institution, die wesentlich zur Ruhe im Land beitragen konnte und für die positive Entwicklung Österreichs von großer Bedeutung war. Aus meiner Zeit an der Wiener Wirtschaftskammer ging vor allem die Entstehung der Hotelfachschulen hervor. Die waren mir deshalb so ein Anliegen gewesen, weil ich in der Brauerei die Erfahrung machen musste, dass immer mehr Söhne und Töchter erfolgreicher Gastronomen ihren Beruf in eine ganz andere Richtung wählten. Um die Menschen also weiterhin erfolgreich in der Gastronomie-Sparte halten zu können, erschien mir das Bestehen einer passenden Ausbildungsmöglichkeit als sehr wichtig. Eine weitere positive Initiative gelang mir mit dem Kauf von Schloss Hernstein, unter der Präsidentschaft von Rudolf Sallinger, wo wir eine gut funktionierende Infrastruktur für Seminare einrichteten, die es noch bis heute gibt. Ein paar Jahre später, 1983, wurde ich von unserem damaligen Parteiobmann Dr. Erhard Busek gefragt, ob ich an einem Sitz im Wiener Landtag Interesse hätte. Ich war aber viel eher am Bundesrat interessiert und hatte das Glück, dass Dr. Stummvoll damals zum für mich genau richtigen Zeitpunkt vom Bundes- in den Nationalrat wechselte, und ich seinen Sitz im Bundesrat übernehmen und für die nächsten sechzehn Jahre behalten konnte. Ein großer persönlicher Höhepunkt in meiner Bundesratskarriere war die Unterzeichnung des Vertrages zu den Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der EU. Ich löste damals Fritz Höss als Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses im Bundesrat ab. Als es endlich soweit war, dass für den österreichischen Beitritt die Vorverhandlungen begannen, gelangten die Akten über den National- in den Bundesrat, und als Vorsitzender des Ausschusses durfte ich den Antrag „Der Beschluss des außenpolitischen Ausschusses war, gegen den Gesetzesentwurf keinen Einspruch zu erheben“ unterschreiben, was mir eine besondere Freude war. Daraufhin konnte Bundespräsident Dr. Thomas Klestil der Regierung die Erlaubnis erteilen, den Antrag auf Aufnahme der Beitrittsverhandlungen von Österreich mit der EG in Brüssel zu stellen.
Mein Abschied: Stenographisches Protokoll der 650. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich, Freitag, 19. Februar 1999, Seite 72/73
Industriellenvereinigung
Ich hatte großes Glück, die Entwicklung der Industriellenvereinigung, oder besser gesagt dem „Hauptverband der Industrie“, wie die IV damals noch geheißen hatte, persönlich miterleben zu dürfen, da sich, wie bereits mehrmals erwähnt, viele der Gespräche zwischen den entscheidenden Personen in unserem Haus abspielten: Julius Raab, Leopold Figl, Hans Lauda, Franz Josef Mayer-Gunthof und andere kamen häufig im Haus meines Vaters zusammen, um Gespräche zur Bildung der ersten Nachkriegsregierung zu führen. Raab befasste sich vor allem mit der Bildung eines zukünftigen Kammersystems, woraufhin Hans Lauda erfahren wollte, wo Raab denn in Zukunft die Position des „Hauptverbandes der Industrie“ sähe. Seine Antwort war damals sehr klar und eindeutig: dieser Industrieverband bestünde pressure group vollkommen unabhängig von einer Kammerorganisation, die wiederum eine ausgleichende Position gegenüber der Industrie einzunehmen habe. Diese interlocking directorates, die nicht zuletzt im berühmten Johnson Report naserümpfend erwähnt worden waren, waren in Österreich erwünscht gewesen. Nach den ersten Wahlen am 20. Dezember 1945 wurde Leopold Figl zum österreichischen Bundeskanzler ernannt, 1946 wurde aus dem alten Hauptverband der Industrie dann die Vereinigung österreichischer Industrieller. Raab übernahm 1947 die Präsidentschaft der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft. Von 1966 bis 1981 war ich Vorstandsmitglied der Österreichischen Industriellenvereinigung, unter dem damaligen Präsidenten Hans Igler, von 1980 bis 1989 war ich in der leitenden Position der Wiener Industriellenvereinigung. Eine der größeren Aufregungen, der ich damals ausgesetzt war, stand im Zusammenhang mit der Besetzung der Hainburger Au: Damals demonstrierten mehrere tausend Menschen in der Vorweihnachtszeit gegen den Kraftwerksbau im letzten verbliebenen Rest der Au, der sich von Wien über die Lobau bis hin zur slowakischen Grenze erstreckte. Obwohl Präsident der Wiener IV, war ich persönlich gegen den Kraftwerksbau und somit auf der Seite der Au-Erhalter – schließlich fuhr ich oft genug an dieser Gegend vorbei (mein Gestüt liegt genau auf dieser Strecke), um zu erkennen, dass dieses letzte Stück wahre Au absolut erhaltenswert war. Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass ich mir mit dieser Haltung bei meinen IV-Kollegen nicht nur Freunde machte. Es entstanden bald Gruppierungen innerhalb der IV, die mich abwählen, oder zumindest verhindern wollten, dass ich bei der nächsten Wahl, die unmittelbar bevorstand, wieder antreten könnte. Es ergab sich, dass ich ein paar Tage vor der Wahl mit Carl-Anton Bleileben mit dem Auto nach Graz reisen musste, und unglücklicherweise hatten wir einen Unfall, bei dem wir beide – wir landeten in einem Bachbett – noch glimpflich davongekommen waren. Jedoch war mein rechtes Bein verletzt und ich musste ins Spital nach Meidling. Es war damals genau Wochenende, und mir war vollkommen klar, dass ich, egal wie auch immer, am Montag zur Wahl in der IV anwesend sein würde müssen. Ich wollte mir auf keinen Fall nachsagen lassen, ich würde mich vor Konfrontationen drücken. So gelang es mir mit viel Überredungskunst, den diensthabenden Arzt davon zu überzeugen, dass ich das Krankenbett sofort wieder verlassen würde müssen. Ich bekam einen Gips verpasst, unter der Androhung, ich müsse diesen nun für die kommenden sechs Monate tragen. Ich war über den Vorschlag froh und durfte das Spital wieder verlassen. So konnte ich also an der Sitzung teilnehmen und wurde auch mit siebzig Prozent der Stimmen für eine weitere Periode zum Präsidenten gewählt. In Hinsicht auf Europa trug die Industriellenvereinigung auch einiges dazu bei, dass Österreich gedanklich und aktiv näher an ein gemeinsames Europa rücken, und schließlich auch Mitglied der EU werden konnte. Die IV setzte sich immer besonders für einen Beitritt ein und machte bei jeder nur denkbaren Gelegenheit eine sehr gute und effiziente Werbung für diesen.
Hommage an Winston Churchill
Den Abschluss dieses Kapitels möchte ich ganz bewusst einem Politiker widmen, der mir ein großes Vorbild geworden ist, weil er als Politiker und als Mensch Standhaftigkeit und Größe bewiesen hat. Winston Churchill. Dieser Mann beeindruckte mich nicht zuletzt deshalb nachhaltig, weil er sein Land auch auf scheinbar komplett verlorenem Posten nicht aufgab. Churchills Haltung war letztendlich kriegsentscheidend gewesen, schließlich hatte Hitler von einer Invasion der Britischen Inseln Abstand genommen. Churchill war auch im weiteren Verlauf des Krieges der Meinung gewesen, die Alliierten sollten nicht in der Normandie landen, sondern eher zwischen die sowjetische und deutsche Front hineinkommen. Dieser kluge Plan war jedoch von Roosevelt durchkreuzt worden, unterstützt von seinen zwei kommunistischen Beratern Alger Hiss und Whittaker Chambers, wodurch der sowjetische Einmarsch in Osteuropa erst zustande gekommen war, den Churchill ursprünglich hatte verhindern wollen. Auf den Friedensvertrag von Potsdam, in dem das deutsche Eigentum wiederhergestellt wurde, hatte Churchill keinen Einfluss mehr, die Amerikaner handelten sämtliche Einzelheiten nur mehr mit den Sowjets aus. Kurze Zeit später wurde Churchill auf sehr üble Art abgewählt. Dass er für die Engländer den Krieg gewonnen hatte, wurde nicht mehr berücksichtigt. Trotz dieser Niederlage blieb er entschlossen, bis zu einer eventuellen Wiederwahl der Politik nicht den Rücken zu kehren. Und tatsächlich stand er diese Zeit durch und brachte England in der Folge auch noch einmal zum Aufblühen. Neben seinen außer Zweifel stehenden politischen Talenten war Churchill auch ein großartiger Schriftsteller gewesen, und interessanter Weise wurde ihm ja schlussendlich auch der Literaturnobelpreis verliehen. Den Friedensnobelpreis, der ihm eigentlich zugestanden wäre, konnte man ihm eben doch nicht geben. Ich hatte das große Glück, Churchill einmal persönlich im englischen Parlament mitzuerleben: Das war 1951, als ich von meinem Vater nach England geschickt worden war, um mir dortige Brauereien anzusehen. Ich nutzte die Gelegenheit, auch London besser kennen zu lernen, machte eine Rundfahrt, die auch das Parlament einschloss. Sehr schnell landete ich auf der Galerie des Unterhauses und entdeckte dort Churchill persönlich. Während der darauffolgenden sechs Stunden rührte ich mich nicht mehr vom Fleck, es war so faszinierend ihm zuzuhören!