Brioni – Lebenserinnerungen von Manfred II. Mautner Markhof

Erinnerungen an ein Paradies

Sobald es wärmer wurde, packten wir – meine Eltern, meine beiden jüngeren Schwestern Christl und Elli und ich – unsere Koffer und zogen für die Sommermonate nach Brioni. An meine Kindheit habe ich nur schöne Erinnerungen, viele davon sind mit diesem Ort verknüpft, an Zeiten vollkommener schwereloser Ausgelassenheit. Meine Eltern hatten sich bereits als Kinder in Brioni kennen gelernt, denn die Familien meiner Eltern waren schon lange freundschaftlich verbunden gewesen und trafen sich dort regelmäßig. Die Familie meiner Mutter, Kupelwieser, lebte auf Brioni, meine Mautner’schen Großeltern sind ihr Leben lang mit ihren Kindern nach Brioni auf Urlaub gefahren. Auf alle Fälle entstand aus dieser Kinderfreundschaft meiner Eltern eine wirklich fabelhafte ménage a deux, ich kann mich an keine spektakulären Zwischenfälle erinnern, – es gibt hiervon Aufzeichnungen meines Vaters in seinen zwei Büchern. Mein Vater war ein unglaublich sportbegeisterter Mensch, er beschäftigte sich mit allen möglichen Sportarten äußerst intensiv: Neben Tennis, Golf und Polo hat er als junger Mann sogar geboxt. Einmal wollte er an einer offiziellen Boxveranstaltung teilnehmen, woraufhin meine Mutter ihm damit drohte die Verlobung sofort zu lösen, sollte er wirklich boxen wollen – so hat er dann diesen Sport schlussendlich doch bleiben lassen. Der Anfang unserer Familie in Brioni geht auf meinen Urgroßvater mütterlicherseits zurück, Paul Kupelwieser. Dieser Paul Kupelwieser war nicht nur der Sohn des berühmten klassischen Malers Leopold Kupelwieser, er selbst war Absolvent der Leobener Montanuniversität und brachte es bis zum Generaldirektor der Witkowitzer Eisenwerke. Mit 50 Jahren machte er einen radikalen Schnitt in sein bisheriges Leben, nach heutigem Gesichtspunkt kann man ihn wohl als einen der ersten echten Aussteiger bezeichnen: er wechselte von der Eisen- und Kohlebranche in den Tourismus. Damals, Ende der 1880er Jahre, stellte man zukunftsorientierte Überlegungen an, vor allem auch in touristischen Belangen, und wolle eine Österreich-Ungarische Riviera entstehen lassen, wofür sich Istrien sehr anbot. Mein Urgroßvater wurde damals auf die Brionischen Inseln aufmerksam, die einer nach Portugal ausgewanderten, italienischen Familie gehört hatten. Für die stattliche Summe von 75.000 Gulden konnten die vollkommen von Malaria durchsetzen Inseln, die größte und wohl auch bekannteste davon Maggiore, von meinem Urgroßvater im Jahr 1893 gekauft werden. Ziel war es, diese Inseln wieder bewohnbar zu machen. Dazu musste man als wichtigste Maßnahme zuerst die Malaria bekämpfen. Mein Urgroßvater hatte hierfür einen sehr hilfreichen Freund, der ihm riet, jede auch noch so kleine Wasserpfütze mit Petroleum anzuzünden. Tatsächlich konnte so die Malaria von den Brionischen Inseln verbannt werden. Dieser Freund war der spätere Nobelpreisträger Robert Koch. Als nächstes ließ mein Urgroßvater drei Hotelkomplexe bauen, zwei davon hießen „Neptun“ und „Karmen“, an den Namen des dritten Hotels kann ich mich leider nicht erinnern. Es gibt alle drei Hotels auch heute noch (auch wenn sie unter Tito eine etwas fragwürdigere Innenausstattung bekamen). Er selbst, und später auch wir, wohnte jedoch nie in einem dieser Hotels, sondern in einem daran direkt angrenzenden, kleinen Castel. Bereits damals war es ein wichtiges asset der Tourismusbranche, für eine perfekte Unterhaltung zu sorgen und ein dementsprechendes großzügiges Freizeitprogramm anzubieten. Tiergärten boten zu dieser Zeit einen besonders beliebten Zeitvertreib, also ließ er mit Hilfe seines Hamburger Freundes Carl Hagenbeck, dem Gründer des Hamburger Tiergartens Hagenbeck, ein Tiergarten-Areal errichten, mit tiefen Gräben anstelle von Gittern – nicht nur einmal sind die Affen ausgekommen! Man konnte nun über alle nur erdenklichen exotischen Tierarten staunen und sich auch an Damwild erfreuen, das auf ganz Brioni ausgesetzt wurde und besonders schön anzusehen war. Ein dritter Freund meines Urgroßvaters wegen seiner technischen Fähigkeiten eine große Hilfe, als es darum ging, den Transport der Gäste vom Festland auf die Inseln zu organisieren. Dieser Freund hatte einen Motor entwickelt, dem man anfangs sehr skeptisch gegenüberstand, war man doch der Meinung gewesen, der Motor wäre zu schwer und die Boote müssten demnach untergehen… Besagter Freund war Rudolf Diesel und wie wir heute wissen, bewährten sich seine Motoren sehr und die brionischen Gäste konnten sicher auf die Insel und wieder zurück aufs Festland transportiert werden. Es dauerte nicht lange, bis Brioni zu einem begehrten Urlaubsdomizil für die interessantesten Leute wurde. Nicht nur der österreichische Erzherzog Franz Ferdinand, Kaiser Wilhelm und der sächsische König Friedrich August zählten zu den ständigen Gästen. Brioni wurde auch zu einem Sport-Paradies: Es gab Tennisplätze (ich erinnere mich noch an meinen Vater in langen weißen Hosen und meine Mutter im weißen langen Tenniskleid), ein Indoor-Swimmingpool (das erste der Monarchie), einen kleinen Golfplatz sowie ein Polofeld. Die Gäste sind übrigens mit ihren eigenen Polopferden angereist! An ein sehr legendäres Polospiel kann ich mich gut erinnern, da trat das brionische Team, in dem mein Vater mitspielte, gegen das Team von Malta mit seinem berühmtesten Spieler Lord Mountbatten an. Das Autofahren war auf der Insel verboten, dafür gab es einen Autobus, der die Polospieler auf das Polofeld führte, ansonsten war man nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs. Eine andere Erinnerung gilt der Englischen Mittelmeerflotte: eines dieser Schiffe ankerte einmal vor Maggiore, und wir durften, nachdem meine Eltern auf das Schiff eingeladen waren, als Kinder mit an Bord kommen; ein sehr aufregendes Abenteuer für uns. Als wir alle zum Abendessen bereits bei Tisch saßen, näherte sich ein Matrose dem Kapitän, beugte sich zu ihm vor, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Der Kapitän nickte, woraufhin der Matrose wieder abmarschierte. Erst später wurde mir die Bedeutung dieser Szene erklärt: mit diesem Ritual meldete der Matrose dem Kapitän den Sonnenuntergang und bekam hiermit die Erlaubnis, die Flagge einzuziehen. – Ein schön anzuschauendes Spektakel.

Die Zeiten ändern sich

Nach dem 1. Weltkrieg wurde alles anders – dem großen wirtschaftlichen Boom folgte der jähe Absturz in die Wirtschaftskrise und politisch sich bereits anschleichende Veränderungen in den 20er und 30er Jahren. Für den Tourismus brachen besonders schwere Zeiten an und die italienischen Banken beschlossen, wohl, wie ich meine, im Zusammenwirken mit der damaligen Regierung, die westlichen Gebiete nicht weiter zu unterstützen. Der Fokus wurde in der Folge auf die ligurische Küste, auf Genua und Venedig etc. gelegt. Dadurch waren die Brionischen Inseln mit einem Schlag fallen gelassen worden und nicht mehr von Bedeutung. Die Zeiten wurden auf für uns merklich unruhiger, ich erinnere mich an eine Nacht im Februar 1934, es war Winter und wir waren daher in Floridsdorf. Die Brauerei St. Georg lag genau zwischen der Gartenstadt und dem Schlingerhof, also inmitten der damaligen Unruhen, und so wurde genau über unseren Köpfen hin und her geschossen. Meine Eltern holten uns Kinder während der Nacht aus unseren Betten und wir verschanzten uns in einem fensterlosen Gang des Gebäudes. Dort mussten wir so lange ausharren, bis die Schießereien endlich vorbei waren. Für meine Schwestern und mich war das einerseits recht aufregend, aber ganz wohl fühlten wir uns natürlich nicht. Als mein Vater am nächsten Morgen wieder in sein Büro nach Simmering fuhr, war nicht klar, ob er nachmittags wieder nach Hause zurückkehren könnte, überall wurde geschossen. Gott sei Dank kam er unversehrt zu uns zurück. Wie jedes Jahr brachen wir auch 1934 im Mai unsere Wiener Zelte wieder ab, um nach Brioni zu übersiedeln, jedoch holte uns unser Vater am Tag der Ermordung von Dollfuss, am 25. Juli 1934, nach Österreich zurück. Auf unserer Rückreise fuhren wir bereits durch Gebiete mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Ich kann mich erinnern, in manchen Orten wurde so stark gekämpft, dass wir lange Wartezeiten einhalten mussten, bis man uns endlich erlaubte, weiter zu fahren. Das waren für uns die ersten Vorahnungen von einem Krieg, der noch lange nicht zu Ende sein sollte. Meine Brioni-Großmutter zog bald darauf auch nach Wien, Brioni ging so langsam down the drain.

So kam ich erst wieder Ende der 70er Jahre nach Brioni zurück, mit wild pochendem Herzen, das waren sehr bewegende Momente. Es freut mich sehr, dass die jetzige kroatische Regierung sehr viel unternimmt, um die Insel picobello zu halten! Brioni ist heute ein Nationalpark. Für den jeweiligen kroatischen Staatspräsidenten bot sich Brioni auch immer wieder als Ort für besondere Festivitäten an, einmal wurde auch unser verewigter Bundespräsident Thomas Klestil dorthin eingeladen. Ich war damals auch unter den Gästen und, nachdem ich eng mit ihm befreundet war, begrüßte ich ihn scherzhaft in meiner ehemaligen Heimat…! Es freut mich sehr zu sehen, dass Brioni durch seinen heutigen Status nur einen sehr selektiven Fremdenverkehr erlaubt. Es ist eine große Hoffnung von mir, dass Kroatien bald ein Mitglied der EU werden wird, denn zwischen Österreich und Kroatien hat es immer enge und gute Beziehungen gegeben. Die EU verschafft den europäischen Völkern die Möglichkeit, auf einer völlig freiwilligen Basis zusammen zu kommen, weder durch Eroberung, nicht einmal durch Heiraten (obwohl wir ja gerade darin in Österreich eine gewisse Übung besitzen). Außerdem bin ich überzeugt davon, dass die ganze adriatische Küste auch in Zukunft für Kroatien eine Goldgrube sein müsste, nicht nur liegt sie nah von uns, auch das dortige Klima ist sehr verträglich.

Wir haben als Kinder Brioni über alles geliebt, wir lieben es heute noch, mittlerweile war ich mit neun meiner zwölf Enkelkinder dort und ich glaube ihnen mit Freude, wenn sie mir beteuern, dass es ihnen dort wirklich gut gefallen hat, dass sie mit diesen Beteuerungen ihrem Großvater nicht nur eine Freude machen wollen.