Die Welt von Dr. Otto und Maria Lenz

Im Bootshaus lebte und arbeitete der Inselarzt, Dr. Otto Lenz, wo er mit seiner Familie mehr als 30 Jahre verbrachte.

Dr. Otto Lenz wurde am 29. November 1872 in Wien geboren, wo er auch sein Medizinstudium beendete und sich auf das Fach Psychiatrie spezialisiert hat. Auf die Insel Brioni kam er zum ersten Mal im Februar/März 1901, fünf Jahre vor der Begegnung mit Maria, und zwar in Begleitung eines an Typhus erkrankten Patienten. Dieser Patient war der Neffe von Dr. Heinrich Obersteiner, dem namhaften Wiener Psychiater und Besitzer der Heilanstalt Wien-Döbling, wo Dr. Lenz als junger Hilfsarzt tätig war. Schon damals übte die Insel einen starken Zauber auf ihn aus. Zwei Jahre später suchte Paul Kupelwieser einen Arzt, der für die Gesundheit der Inselgäste und der Einheimischen sorgen sollte, und bot Dr. Lenz die Stelle an, die dieser gerne und sofort annahm. So trat er am 3. Februar 1903 seinen Dienst in Brioni an, nachdem er davor einige Wochen am Institut für Infektionskrankheiten bei Dr. Robert Koch in Berlin verbracht hatte, um sich verschiedene Methoden der Malariabekämpfung anzueignen. Glücklicher Weise musste er diese Erkenntnisse niemals anwenden, denn seit 1901 ist es zu keiner Neuerkrankung mehr gekommen. Zunächst bezog er Quartier im damals noch sehr kleinen und unkomfortablen Hotel „Brioni“, übersiedelte aber bald in ein ungewöhnliches Domizil, wo er auch seine Ordination einrichtete. Das sogenannte „Bootshaus“, über dem Bootsanlegeplatz, also über dem Meer, erbaut, war ein frühes Werk des Otto Wagner Schülers Eduard Kramer.

Maria Lenz wurde am 5. August 1885 als jüngstes Kind des Forstingenieurs Hermann von Guttenberg in Triest geboren; der Vater war beauftragt, die Aufforstung des Kartsgebietes in den südlichen Teilen der österreichischen Monarchie voranzutreiben und zu beaufsichtigen. Auf seinen Rundfahrten erkannte er sofort die landschaftlichen Reize der verwilderten Brioni-Inseln und erzählte, nach Hause zurückgekehrt, begeistert von der Möglichkeit ihrer Kultivierung, so dass der Name Brioni dem Mädchen Maria schon vor seinem achten Lebensjahr geläufig war. Die Familie übersiedelte dann nach Graz, wo der Vater eine neue Stelle antrat. Die Kinder des Oberforstrats begannen hier ihre Ausbildung: Schwester Rosa (1878 – 1959) entschied sich für die Malerei, Bruder Hermann (1881 – 1969) für die Botanik und Maria für das Studium der Musik. Ein kurzer Sommeraufenthalt in Brioni im August 1906 in Begleitung ihres Bruders hat ihrem Lebensweg aber eine völlig neue Richtung gegeben und ihr bis dahin erfolgreiches Musikstudium beendet. Sie lernte in dem neuen aufstrebenden Kurort den dort ansässigen Arzt Otto Lenz kennen, und der dreitägige Aufenthalt in romantischer Umgebung änderte ihre Lebenspläne.

Knapp ein Jahr nach diesem Aufenthalt haben Maria und Dr. Otto Lenz in der Kapelle „San Rocco“ bereits den Bund der Ehe geschlossen. Sie verließ Graz und kehrte in ihren heiß ersehnten Süden zurück, wurde „Frau Doktor“ und tauschte ihre Musikkarriere mit dem Leben einer Ehefrau und Assistentin des Kurarztes ein. Die Schönheit der Insel und ihre Liebe zur Natur einerseits sowie andererseits die Möglichkeit, an den vielfältigen, für sie neuen gesellschaftlichen Verpflichtungen teilzunehmen, hatten sie diese Entscheidung niemals bereuen lassen. Zwar war sie sich über ihre ungewöhnliche Rolle und über die Besonderheit ihres neuen Zuhauses und ihrer Arbeitsbedingungen im Klaren, hatte aber dennoch nicht ahnen können, wie viele unvorhergesehene Erlebnisse und Begebenheiten sie erwarten würden. Während der dreißig Jahre, die sie an der Adria verbrachte, kam sie mit zahlreichen Persönlichkeiten der damaligen Zeit in Berührung: mit Herrschern und deren Gefolge, Staatsoberhäuptern, Politikern, Schriftstellern, Schauspielern, Malern, Archäologen, Ärzten, Chemikern, Physikern, Biologen, Zoologen, Nobelpreisträgern und vielen anderen.

Zur Zeit der Ankunft Marias gab es nur zwei Hotels: das kleine und bescheidene Hotel „Brioni“, gebaut 1897/1898, und das Hotel „Neptun I“, fertiggestellt im April 1906. Dadurch war es bereits damals möglich, eine größere Gästezahl unterzubringen. Früher besuchten die Insel vor allem „Freunde von Brioni“, Liebhaber der mediterranen Natur oder antiker Fundstätten, die ganz unkomfortabel logiert hatten, deren Zahl aber von Jahr zu Jahr gestiegen war. Unter ihnen waren bekannte Ärzte, Wissenschaftler, Forscher, Maler und Schriftsteller, die anfangs vor allem in der kälteren Jahreszeit Ruhe und Erholung gesucht hatten. Mit der Zeit wurde die Saison auf das ganze Jahr ausgedehnt, weil die Zugverbindung zwischen Wien und Pola verbessert, der regelmäßige Schiffsverkehr zwischen Brioni und Pola hergestellt und die Infrastruktur der Insel so weit entwickelt wurde, dass sie einen bedeutenden Ruf als Luftkurort erlangen konnte.

Das Jahr 1906 war ein besonders wichtiges für die „Tourismuswerbung“. Im Frühling dieses Jahres verbrachte Erzherzogin Maria Josepha drei Wochen auf Brioni, welche zur Stabilität ihrer Gesundheit entscheidend beigetragen haben. Sie war der erste hohe Gast vom Wiener Hof und versäumte nicht, den Ruf der Insel als Luftkurort in der Hauptstadt der Monarchie zu verbreiten. Trotz der bescheidenen Unterbringung im Hotel „Neptun I“, das inmitten der Wirtschaftsgebäude erbaut worden war und in dem sie bis zur Errichtung des luxuriös ausgestatteten „Neptun II“ logierte, blieb die Erzherzogin bis zum Ersten Weltkrieg der Insel treu und wurde wegen ihrer Verdienste um die Werbung für den Kurort als Schirmherrin von Brioni betrachtet. Als dann vier Jahre später, im Februar 1910, noch Thronfolger Franz Ferdinand mit seiner Familie für zwei Frühlingsmonate in Brioni anreiste, war der Ruf der Insel als elitäres Urlaubsziel endgültig gefestigt. Der längere Aufenthalt der Angehörigen der Kaiserfamilie weckte ein ungeheures Interesse für diese neue Urlaubsdestination. Trotz dieser außerordentlich guten Zukunftsaussichten war sich laut Inselzeitung die Inselverwaltung im Klaren darüber, dass Brionis Zukunft ausschließlich in einem umweltschonenden, „sanften Tourismus für jedermann“ liegen könne und dass deshalb die bereits vorhandenen Unterkunftsmöglichkeiten modern adaptiert werden müssten, also nicht nur an Neubauten gedacht werden dürfte. Damit wurde das vom Besitzer seit Anfang an entworfene Konzept der Entwicklung umgesetzt, wonach die Bautätigkeit auf den nördlichen Teil begrenzt bleiben sollte, in Hafennähe, damit die Naturschönheiten der Insel im höchstmöglichen Ausmaß geschont und erhalten blieben.

Der Fremdenverkehr wurde von Jahr zu Jahr stärker. Die Reise von Wien nach Pola wurde durch die Einführung des Schnellzuges auf 13 Stunden verkürzt, und 1911 kamen noch Schlafwägen dazu, die für die Gäste der Insel von der Kurverwaltung extra finanziell gesponsert wurden. Den letzte Schrei stellten damals Züge mit einem Waggonrestaurant dar. Dank des regelmäßigen Schiffsverkehrs war Brioni nicht nur mit den Städten der östlichen Adriaküste, sondern auch mit Venedig und über Triest sogar mit Alexandria in Ägypten verbunden.

Von 1903 bis 1910 war die anfangs kaum nennenswerte Besucherzahl nur dank Mundpropaganda, also ohne jegliche Werbung, auf 2500 Gäste gestiegen. Um die Ansprüche der neuen Klientel zu befriedigen, wurden weitere Luxushotels erbaut, dessen noble Gäste aus den höchsten Adels-, Industriellen- und Kunstkreisen stammten. Ende 1910 wurde das Hotel „Neptun II“ eröffnet, mit anspruchsvollen Zimmern mit Loggia, so dass auch „die obersten Gesellschaftsschichten die ihnen gebührende Unterbringung genießen konnten“. Zwei Jahre später, gegen Ende 1912 (während dieses Jahres wurden wegen mangelnder Unterkunftsmöglichkeiten sogar 500 Gäste abgewiesen), wurde das Hotel „Neptun III“ fertiggestellt, das 300 Gästen Platz geboten hat. Für die damalige Zeit handelte es sich um ein äußerst luxuriöses Objekt, ausgestattet mit Marmor und Plüsch, Badezimmern mit Süß- und Meerwasser und eigenem Lift. Neben einer ganzen Reihe prunkvoller Salons hatte dieses neue Haus auch einen Kinosaal mit 130 Plätzen. Mit dem Ausbau Neptun IIIs wurde die Unterkunftskapazität verdoppelt, so dass Brioni mit seinen fünf Hotels nun bereits 550 Gäste aufnehmen konnte. 1913 wurde auch das architektonisch durchaus gelungene Hallenschwimmbad errichtet – für längere Zeit das einzige an der Adria mit warmem Meerwasser und verschiedenen Therapiemöglichkeiten. Das attraktive Seebad in der Bucht Saluga wurde erweitert, und mit seinen 180 Kabinen, Sonnenterrassen und Luftbädern gehörte es zu den bestausgestatteten Badeanstalten im damaligen österreichischen Süden. Das Angebot der Hotels war vielfältig. Es wurden zahlreiche Feste, Spiele, Radfahrausflüge, Kutschenfahrten usw. veranstaltet. Die kleine Brioniflotte umfasste 1913 sogar 7 kleine Dampfer; es wurden Ausflüge zu interessanten Plätzen der Umgebung angeboten. In den Abendstunden veranstaltete man Konzerte auf der großen Terrasse des Hotels „Carmen“. Anfangs spielte nur die Militärkapelle, ab 1912 auch das akademische Quartett Bauer, das, den Inselzeitungen zu entnehmen, „den Gästen nicht nur Unterhaltung, sondern auch ein echtes künstlerisches Erlebnis geboten hat“. Die vielfachen sportlichen Aktivitäten umfassten Segelregatten, Tennisturniere, Schwimmwettbewerbe, Jagd und Fischerei in Begleitung einheimischer Fischer. Aussichtstürme und viele Sehenswürdigkeiten lockten die Gäste zu ausgedehnten Spaziergängen durch die schönste Natur, alte Steinbrüche inbegriffen, die mit exotischer Flora bepflanzt waren. Großes Interesse weckten auch die jahrelang durchgeführten archäologischen Ausgrabungen aus vorgeschichtlicher, römischer und frühchristlicher Zeit. 1911 wurde auf der Insel der Zoologische Garten eröffnet. Hagenbecks Akklimatisierungsstation, Vogelbeobachtungsstationen und eine Straußenfarm rundeten das zoologische Angebot ab.

Die Vergrößerung der Hotelkapazität brachte die dementsprechende Erweiterung der Nebenbetriebe mit sich. Es wurden das Kraftwerk, das Kühlhaus, die moderne Dampfwäscherei mit dem öffentlichen Bad, neue Stallungen und Werkstätten gebaut. Neben den Gebäuden der Arbeiter wurden der Bocciaspielplatz und das Wirtshaus errichtet, sogar eine Schule mit einer Klasse war vorhanden. Das alles wurde auf der nördlichen Seite der Insel sehr vorsichtig und mit Bedacht auf die natürliche Beschaffenheit der Umgebung geplant, und so ist im Lauf der Jahre mit den neuen Hotels eine zusammenhängende, ansprechende Ansiedlung entstanden. Auch für die geistlichen Bedürfnisse der Gäste und der über dreihundert Einheimischen war gesorgt; 1912 wurde Pater Franz Krallinger als Seelsorger nach Brioni berufen.

Neben den Gästen aus der Österreichisch-Ungarischen Monarchie begannen auch Gäste aus Deutschland und Russland Brioni zu entdecken, so dass die Insel bald der Ruf eines internationalen Kur- und Urlaubsortes ereilte. Selbst Kongresse fanden statt. So wurde Brioni wegen seiner außerordentlichen Lage und seines hervorragenden Angebots in kurzer Zeit zu der Elitedestination im österreichischen Süden.

Die „Inselzeitung Brioni“ erschien von 1910 bis 1914 in deutscher Sprache, 40 Nummern jährlich: von Mitte Februar bis Ende Oktober wöchentlich, in der Winterzeit monatlich. Chefredakteur war Otto Buchsbaum und ab 1913 Siegmund Oswald Fangor. Das große Interesse der Gäste für Brioni veranlasste die Redaktion schon 1911, eine Umfrage über die Eindrücke der Besucher durchzuführen. Der Auswertung der Umfrage ist zu entnehmen, dass eine große Anzahl der angesprochenen Persönlichkeiten am meisten von den Naturschönheiten der Insel angetan war. Später schlug Chefredakteur Siegmund Oswald Fangor vor, ein Besucherlexikon zu verfassen. Seinen Worten nach besuchten Brioni bis 1911 zahlreiche Adelige, Wissenschaftler, Maler, Schriftsteller, Musiker, Kammerschauspieler, Archäologen und viele andere, die, „von Brioni entzückt, den Ruhm dieser Insel bis zum kleinsten Ort Mitteleuropas getragen haben“. Zahlreiche „Brioni-Freunde“ haben in Wiener Gesellschaftskreisen Loblieder auf diese zauberhafte Insel gesungen, und neben diesen Mundpropagandisten wurde auch eine ganze Reihe von Ausstellungen veranstaltet, die zum Bekanntheitsgrad des Urlaubsziels beitragen sollten. Auch wurde sehr viel über Brioni geschrieben; so erschienen zahlreiche Artikel in diversen österreichischen und deutschen Zeitungen und Zeitschriften, Natur- und Kulturschätze sowie andere Sehenswürdigkeiten waren das Thema vieler Gedichte und Romane. Die wundervollsten Beschreibungen fanden sich im Roman „Schmerzen der Jugend“ von Alice Schalek (sie wurde erste und einzige österreichische Kriegsberichterstatterin im Ersten Weltkrieg) und im Buch „Brioni“ vom Maria Stanek, das sie ihrem geliebten Onkel Paul Kupelwieser, „dem Besitzer und Erfinder von Brioni“ gewidmet hat, „als Erinnerung an die schönen Tage, die sie auf der Insel verbrachte“.

Die glanzvolle Entwicklung Brionis und das harmonische Familienleben des Ehepaares Lenz wurden durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 abrupt unterbrochen. Die Hotels, die bereits auf die neue Saison vorbereitet waren, hatten keine Gäste, und die vorhandenen Nahrungsvorräte kamen den Soldaten zugute, die nun in großer Zahl die Insel bevölkerten. Die Inselgruppe Brioni war nämlich der strategisch wichtigste Punkt für die Verteidigung von Pola, des bedeutendsten Kriegshafens der Monarchie; bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden dort Festungsanlagen gebaut. Die Batterien waren auch in Friedenszeiten im mittleren Teil der Insel stationiert, in der Festung Tegetthoff, im südlichen Teil in Peneda sowie in dem größten Fort auf der Insel Brioni Minore. Die Beziehungen zum Militär regelte Paul Kupelwieser durch die in der Tageszeitung von Pola bekannt gegebenen Anordnungen bereits im August 1906: „Das Militär darf nur bestimmte Wege benutzen; das Betreten der Wiesen, Felder, Weingärten, das Pflücken von Blumen oder das Abreißen von Ästen, das Ausgraben autochthoner oder eingesetzter Pflanzen ist strengstens verboten; das Betreten der eingezäunten Gärten, Keller, Stallungen und Maschinenhallen bedarf – auch in Begleitung eines Bediensteten – einer Sonderbewilligung; strengstens verboten ist auch das Entwenden oder Aneignen von antiken Funden; Hunde sind nicht erlaubt, in Ausnahmefällen müssen sie an der Leine geführt werden, im anderen Fall werde man nach den Jagdvorschriften vorgehen; Verunreinigung der Parkanlagen und des Hafens sind untersagt; auf das Einhalten der öffentlichen Moral muss besonders geachtet werden; wegen Brandgefahr ist strengstens verboten, Zündhölzer, Zigarren- und Zigarettenstummel auf den Boden zu werfen…“. Während des Krieges waren in den Festungen (und in den Hotels) mehr als 2000 (nach Paul Kupelwieser sogar 2650!) Offiziere und Soldaten einquartiert. Wegen der unmittelbaren Kriegsgefahr wurden aus dem Bezirk Pola Frauen und Kinder evakuiert, und so mussten Maria und ihr Sohn die Insel verlassen und ins Hinterland fahren. Zur gleichen Zeit meldete sich Dr. Lenz als erster Zivilist zum Dienst im Fort „Peneda“, der südlichsten Festung auf Brioni. So verbrachte die Familie Lenz die Kriegsjahre die meiste Zeit getrennt. Maria Lenz mit Kind im Hinterland, ihr Mann in gefährdetem Gebiet. Von Zeit zu Zeit durfte sie mit einer Sondererlaubnis ihren Mann besuchen, und immer erschien ihr Brioni als Paradies. Dort gab es keine folgenschweren Kriegshandlungen, und der Tagesablauf unterschied sich wohltuend von dem im Hinterland. Dr. Lenz führte eine kleine Spitalsambulanz, die sich in den Räumlichkeiten einer Hoteldependance im mittleren Teil des Hafens befand, zwischen dem Hotel „Neptun I“ und der Villa Kupelwieser. In der großen Loggia der Dependance waren die Ambulanz und der Operationssaal, in den hinteren Räumlichkeiten 25 Krankenbetten untergebracht. Die „Kriegsambulanz“ war immer voll, obwohl die Patienten nicht im Krieg, sondern im Dienst verletzt wurden. Zur gleichen Zeit behandelte Dr. Lenz auch „die stille Bewohnerin des Nebenhauses“, Maria Kupelwieser, Gattin des Besitzers, die im 65. Lebensjahr im November 1915 auf der Insel verstarb. Unmittelbar vor Kriegsende wird die Familie endlich wieder zusammengeführt. Danach kam es zu großen Veränderungen.

Obwohl die Inseln im Besitz der Familie Kupelwieser geblieben sind, kommen sie den Rapallo-Verträgen zufolge unter italienische Herrschaft. Familie Lenz wollte die Insel nicht verlassen, sie entschieden sich, in dem neuen Staat zu bleiben, sich den neuen Bedingungen und Bedürfnissen anzupassen und die neue Sprache zu erlernen. Territoriale, politische und soziale Veränderungen haben die Struktur der Inselgäste in der Folge völlig umgestaltet. Der Familienurlaubsort und Kurort Brioni wurde bis dahin vor allem von Gästen aus der Österreichisch-Ungarischen Monarchie besucht, die meist mehrmals jährlich zur Kur gefahren sind. Nun wurde Brioni zu einer Insel der Jugend, des Sports und der Unterhaltung. Karl Kupelwieser, der ältere Sohn Pauls, erbte nach dem Tod seines Vaters 1919 mit dem Landbesitz auch die Geschäftsführung des ganzen Betriebes und setzte alle Hoffnungen auf diese Umwälzungen, um die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu erhöhen. Alle Investitionen richtete er auf die Entwicklungen von sportlichen Aktivitäten aus und ließ schon in den frühen zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts den Golfplatz anlegen, mit der Absicht, eine neue Klientel anzusprechen. Nach der Meinung von Dr. Lenz war „dieser gesunde und aristokratische Sport“ ganz gut angenommen worden. Der Spielplatz wurde auf einem besonders schönen Flecken der Insel eingerichtet, wo man das ganze Jahr hinweg spielen konnte – der grüne Rasen wurde durch Sand ersetzt. Brioni wurde in Großbritannien und Amerika so bekannt, dass der neue Besitzer ein Büro in London eröffnen konnte; der Club der „Brionigolfer“ befand sich im Hotel „St. Moritz“ in New York. Jährlich wurden auf der Insel bis zu hundert Treffen veranstaltet, die durchschnittliche Teilnehmerzahl betrug an die zwanzig Spieler (wie z. B. im Jahr 1932). Auch konnten sich die einheimischen Kinder etwas dazuverdienen – sie trugen die Golfschläger und sammelten Golfbälle ein.

Carl Kupelwieser war ein großer Pferdenarr und ausgezeichneter Reiter, so dass nun auch besonderes Augenmerk auf den Reitsport gelegt wurde. Er ließ Rennbahnen errichten, und auf den ersten Wettbewerb, an dem nur italienische Offiziere aus Triest teilgenommen hatten, folgten internationale Reitturniere. Auch Polo sollte die Insel zum Treffpunkt der internationalen Elite machen – im Jahr 1925 wurde der „Poloclub Brioni“ gegründet. Die bereits veralteten Tennisplätze wurden erneuert und neben Golf, Polo und Tennis wurde auch Cricket, Pushball, Tischtennis, Squash, Schach, Backgammon und Billard gespielt. Der im Sommer so beliebte Wassersport wurde im Herbst und Winter durch die Jagd auf Hasen, Fasane, Hirsche und anderes Wild, durch Wurftaubenschießen und Fischerei ersetzt. Beliebt waren auch verschiedene Unterhaltungsspiele mit sportlichem Charakter, die sog. „Ghymkana“, Pferde-, Fahrrad- und andere Rennen, Tauziehen, „Fuchsjagd“ u.v.m. Es wurde sogar ein Strickwettbewerb veranstaltet! An neuen Ideen hat es nicht gefehlt, alle wirkten am „Brainstorming“ mit. So hatte z. B. Baron Eberhard von Oppenheimer (1890 – 1962) den bizarren Vorschlag auf der Sandbank des Bades Saluga „Waterpolo“ zu spielen (wegen des Windes wurde dieser Plan aber dann doch nicht verwirklicht). Neben diesen zahlreichen Sport- und Unterhaltungsangeboten war es natürlich auch möglich, sich „nur in der einmalig schönen Natur zu erholen“.

Die Faschingszeit blieb nicht nur auf den Februar begrenzt, fantasievolle Maskenbälle fanden das ganze Jahr über statt, und auf der neu eröffneten Tanzfläche war zu jeder Tageszeit etwas los. Es wurden Motto-Bälle organisiert (z. B. in Rot-Blau, in den Farben der Spielkarten, auf japanische Art) und viele Turniere in den Standardtänzen (Foxtrott, Tango, English-Waltz und Wiener Walzer) luden zum Mitmachen ein. Der Redakteur der „Inselrevue Brioni“, Giuseppe Cerame, lobte die Eleganz, Schönheit und die geschmackvolle Erscheinung der Damen.

Die guten Bahn- und Schiffsverbindungen (täglich bis Triest, wöchentlich bis Venedig und Ancona) wurden im Herbst 1924 durch die Wasserflugzeuge von Junkers noch verbessert. Die Inselgruppe Brioni war dadurch nur eine Flugstunde von Venedig und eine halbe Flugstunde von Triest, Portorož, Lošinj oder Opatija entfernt. Über Triest und Venedig wurde auch die regelmäßige Fluglinie mit Rom, Wien und Berlin geplant. Dieser Aufschwung brachte neue Gäste: zuerst den italienischen Adel, danach das Industrie- und Handelsbürgertum sowie europäische Intellektuelle und Aristokraten. Gegen Ende der zwanziger und vor allem zu Beginn der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde die Insel zu einem internationalen Treffpunkt. Den Gästelisten nach zu schließen, kamen die Besucher aus London, Paris, Bern, Amsterdam, Rotterdam, Brüssel, Warschau, Malta, Jerusalem, Alexandria, Bombay, Shanghai, Malaga, New York, Philadelphia, Kalifornien, Rio de Janeiro – und ab und zu gab es auch einen Gast aus der näheren Umgebung. Die „Inselrevue Brioni“ veröffentlichte eine ganze Reihe von Artikeln aus der Feder von Doktor Lenz, und seinem „Sommertagebuch“ ist zu entnehmen, wie die Gäste um die Mitte der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts ihre Freizeit verbracht haben: „Die eifrigsten Sportler sind die Polospieler, die schon um 8 Uhr früh zum Trainingsplatz in der Nähe des Zoologischen Gartens aufbrechen. Im Urlaubsort selbst beginnt das Leben erst gegen 10 Uhr, wenn sich die Gäste nach dem Frühstück mit den Fahrrädern zum Baden in die Bucht Saluga aufmachen. Gegen Mittag herrscht dort ein unheimliches Gedränge, jede Gruppe muss sich auf den Terrassen immer wieder ihren „ständigen“ Platz erkämpfen. Man genießt das Sonnenbaden, das Schwimmen mit den ersten Gummiluftmatratzen, Wasserschi, Gleitbootfahrten. Nach dem Mittagessen nehmen Bridgespieler an den Tischen in den Hallen der Hotels und am Ufer Platz. Der Nachmittag ist reserviert für Radfahrten, Reiten, Polo, Golf, Tennis und anderen Vergnügungen. Die ermüdeten Sportler kommen gegen 20 Uhr abends zurück und trinken ein Gläschen in der entspannenden Hotelatmosphäre mit leiser Klaviermusik. Eine Stunde vor Mitternacht beenden die letzten Gäste ihr Abendessen, und auf der offenen Terrasse unter den hohen Pinien beginnt die allabendliche Tanzunterhaltung, die in der benachbarten Bar bis in die Morgenstunden fortgesetzt wird, wo das Orchester „Brioni Goldstar“ Jazz spielt.“

Das Ehepaar Lenz passte sich erfolgreich den neuen Umständen an, schloss wie auch vor dem Krieg Bekanntschaften und verkehrte weiterhin mit den hohen Gästen der Insel. Dr. Lenz war neben seinen ärztlichen Pflichten auch Mitarbeiter der Inselzeitschrift und setzte sich vor allem mit den vielfältigen Schwierigkeiten des Hotelbetriebs auseinander. Maria nahm weiterhin aktiv am gesellschaftlichen Leben der Insel teil – und das nicht nur als Musikerin. Ende 1929 beteiligte sie sich an einem Lyrikwettbewerb der „Inselrevue Brioni“; die fünf besten Gedichte, die das Thema „Brioni“ zum Inhalt haben mussten, sollten veröffentlicht werden. Außer ihr schickten auch Madeleine Brockdorf, Else Lomek, Violet Sidebottom und Baronin Zsuzsa Madarassy-Beck. (anonym) Gedichte ein. Nun mussten diese anonymen Einsendungen den richtigen Autorinnen zugeordnet und das beste Gedicht ausgewählt werden. Mit der Mehrheit von nur einer Stimme wurde das Gedicht mit dem ausdrucksvollen Titel „Brionitis“ von Else Lomek als bestes gekürt. Frau Lomek war regelmäßiger Gast von Brioni und Siegerin des Golfwettbewerbes im Mai 1930. Maria Lenz wählte als Thema: Golf auf Brioni. Als der beste und einzige Kenner der Dichterinnen erwies sich Prinz Otto Windisch-Graetz. Es war kein Wunder, hatte er doch sehr viel Zeit in ihrer Gesellschaft verbracht und dadurch Gelegenheit gehabt, sie besser als andere kennen zu lernen, oder, wie das den Lesern erläutert wurde, „wegen seiner ausgeprägten Neigung zur Enträtselung der Frauenseele der Dichterinnen“, wofür er ein kunstvoll gearbeitetes Raucherzubehör als Geschenk erhielt.

Trotz des äußeren Glanzes und der ausgewählten Klientel (nach Angaben vom September 1929 besuchten 3685 Gäste jährlich die Insel) musste Brioni ständig mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfen. In der Absicht, das Angebot zu erweitern, neue Gäste anzusprechen und die Saison wie früher auf das ganze Jahr auszudehnen, entwarf Dr. Lenz 1930 ein umfassendes medizinisches Kurprogramm als sinnvolle und Erfolg versprechende Ergänzung zur sportlichen Orientierung des Urlaubsortes. Im Jahr 1931 sollte ein Kurzentrum mit den verschiedensten Angeboten eröffnet werden. Dieser „Heiltourismus“ war vor allem für die Wintermonate gedacht; das bereits bestehende, großzügig angelegte Hallenschwimmbad war dafür ausgezeichnet geeignet: Hydrotherapie, Fototherapie, Elektrokuren (Quarz- und Boluxlampe), Diathermie, Moorbäder und Meereswasserinhalationen. Ein großer Erholungsraum sollte in einen Gymnastiksaal umgewandelt, und Schwimmkurse sollten das ganze Jahr über angeboten werden. Unter der Leitung einer speziell ausgebildeten Köchin wurde intensiv an der Einführung einer Diätküche gearbeitet, die außer der herkömmlichen Abmagerungs- und Aufbaukost auch verschiedene andere Heildiäten anbieten sollte: für Nierenpatienten, für Bluthochdruck- und Herzkranke, für Diabetiker, bei Störungen des Magen-Darm-Traktes, bei Erkrankungen der Leber und Milz usw. Ein wichtiger Bestandteil der Diäten sollte das Mineralwasser aus den Quellen in Marienbad (Mariánské Lázně), Karlsbad (Karlovy Vary), Montecatini, Chianciano und Vetrolio sein; auch Radiumkuren wurden vorgesehen. Die Insel sollte der ideale Erholungsort für Rekonvaleszenten sowie für Patienten mit Schlafstörungen, psychischen Krankheiten und Nervenschwäche werden. Die in so großem Maße vorhandenen Vorteile der Insel, die natürlichen und die in jahrzehntelanger Arbeit geschaffenen, hätten dafür genutzt werden sollen.

Doch auch diese Sanierungspläne waren umsonst. Die unübersichtliche Geschäftslage und große finanzielle Schwierigkeiten ließen die Schulden in enorme Höhen anwachsen. Der Besitzer, Carl Kupelwieser, erschoss sich im Jahr 1930. Alle Versuche, den Hotelbetrieb nach seinem Tod zu retten, bleiben erfolglos. Die Familie Kupelwieser verließ die Insel, und der ganze Besitz wurde in italienisches Staatseigentum übergeführt. In diesen neuen Verhältnissen gab es keinen Platz für die Familie Lenz, zumal Otto jüdischer Herkunft war. 1938 verlässt das Ehepaar Lenz Brioni, verunsichert ob der Zukunft unter dem italienischen Regime, und übersiedelt nach Abbazia. Maria schrieb den Töchtern von Leopold Kupelwieser (dem jüngeren Sohn Paul Kupelwiesers), Pussy und Annelie, anlässlich des Jahreswechsels 1937/38, dass „die alten Zeiten endgültig vorbei seien“ und „Brioni nicht mehr das ganze Jahr, sondern nur während der kurzen Sommersaison als Wohnort genutzt werden könne“. Sie teilte ihnen mit, dass sie mit ihrer Familie nach Abazzia übersiedelt war, in die Villa „Tuchtan“, „ein nicht sehr großes, neu erbautes Haus mit schönem Ausblick in der Garibaldistraße“ (heute Nova cesta).

Die mit viel Liebe aufbewahrten Erinnerungen: Fotos, Zeitungsartikel, das Buch „Spaziergänge auf Brioni“ („Šetnje po Brijunima“) von Otto Lenz und die Niederschrift der Memoiren von Maria Lenz von Guttenberg „Das verlorene Paradies“ („Izgubljeni raj“) übergab das Ehepaar im Jahr 1956 dem Archiv der Inselverwaltung. Drei Jahre später, gegen Ende Dezember 1959, erfuhren die Leser der Lokalzeitung aus einem Nachruf, dass Dr. Otto Lenz auf dem Friedhof in Volosko bei Abazzia beigesetzt wurde. Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bot sich Maria Lenz die Gelegenheit, mit ihrem Sohn Gerhard noch einmal „die so geliebte Insel Brioni, unser früheres Heim“ zu besuchen. So schenkte sie gegen Ende 1979 der Inselverwaltung von Brioni ihre letzte und liebste Erinnerung, ein Porträt ihres Mannes, das ihre Schwester Rosa von Guttenberg im Jahr 1952 gemalt hatte. An ihren Ehemann erinnerte sie nun nur noch die Fotografie dieses Gemäldes. Ihr letztes Lebensjahr verbrachte sie im Pensionistenheim im Stadtteil Kantrida in Rijeka. Sie starb am 15. März 1981.

Auszüge aus dem Buch „Die Welt der Maria Lenz“ by Mira Pavletic, Übersetzung aus dem Kroatischen von Mary Melichar. Deutsche Texte mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung auf dieser Website zur Verfügung gestellt von Simona Goldstein/Antibarbarus.