Musik – Lebenserinnerungen von Manfred II. Mautner Markhof

Die Musik hat mein Leben lang eine sehr bedeutende Rolle eingenommen. Meine Mutter hatte in München Klavier studiert und eigentlich diese Leidenschaft später leider viel zu wenig verfolgen können. Nichtsdestotrotz war uns durch sie ein natürlicher Zugang zur Musik in die Wiege gelegt worden. Mein Vater stand ihr in Kultur- und musikalischen Belangen um nichts nach, auch in seiner Familie waren diese Gebiete immer sehr gefördert worden. Hierzu fällt mir eine nette Anekdote ein: Die Eltern meines Vaters waren jahrlange Abonnenten einer Loge in der Wiener Staatsoper gewesen. Bei einem der vielen Opernbesuche war mein Großvater etwas verkühlt und musste während der Aufführung entsetzlich niesen. Bei dem Versuch, das Niesen so lange zu unterdrücken, bis er die Loge hätte verlassen können, stürzte er hinter den Vorhang, der den Vorraum von der eigentlichen Loge abtrennte, nahm einen Spiegel mit und veranstaltete einen Mordslärm, den ihm meine Großmutter noch Jahre danach vorgehalten hatte. Durch meiner Eltern Liebe zu Kunst und Musik bin ich in einem in dieser Hinsicht sehr bevorzugten Haus aufgewachsen. Nicht nur sind wir in unser musikalisches Verständnis „hineingeboren worden“, unsere Eltern führten uns auch auf sehr behutsame Weise immer näher zur Musik hin. So war unsere erste Oper die Zauberflöte, in der noch recht viele Textpassagen vorkommen, gefolgt von Fidelio, bei dem schon wesentlich weniger gesprochen wird. Dann anschließend kam der große Sprung zu Don Giovanni, einer schon wesentlich anspruchsvolleren Oper, und so ging es eben immer weiter. Meine Eltern pflegten auch Zeit ihres Lebens enge Verbindungen zu den Wiener Philharmonikern, wo sie beide eine Ehrenmitgliedschaft innehatten. Mein Vater wollte sogar einmal selbst ein Musikinstrument spielen, und zwar die Klarinette, allerdings hatte er damit nur mäßigen Erfolg. Wir hatten damals einen Hannoveraner Schweißhund, einen riesigen Hund, den so schnell nichts aus der Fassung zu bringen vermochte. Aber die Spielersuche meines Vaters brachten ihn tatsächlich zum Heulen! Und nachdem es ein Ding der Unmöglichkeit war, gleichzeitig die Klarinette zu spielen und zu lachen, ließ mein Vater dieses Unterfangen recht bald wieder bleiben. Natürlich bekamen auch wir Kinder Musikunterricht, und das nicht zu knapp. So wurden meine Schwestern und ich am Klavier unterrichtet und mussten regelmäßig zu Anlässen wie Ostern und Weihnachten vorspielen, was wir nicht allzu gerne taten. Später erlernte ich das Cello. Anfangs bei Professor Salomon, danach bei Professor Richard Krotschak, dem damaligen ersten Solo-Celisten, beide waren Wiener Philharmoniker. Professor Krotschak war mit meinem Vater sehr befreundet gewesen, und so kam es damals überhaupt zu meinem Unterricht. In meiner ersten Stunde bemerkte er bereits, da er es gewohnt war mit Meisterschülern zu spielen, dass ich ein blutiger Anfänger war. Als ich in meine zweite Stunde kam und das Musikzimmer betrat, bemerkte er mich anfangs gar nicht, weil er selbst gerade eine Bachsuite spielte. Ich war von seinem Spiel dermaßen begeistert, dass ich ihn bat, mit dem Spielen doch bitte fortzufahren. Ich lauschte ich die gesamte Stunde und marschierte wieder unverrichteter Dinge nach Hause. Das war dann auch gleich wieder das Ende meiner Cello-„Karriere“, denn bald darauf musste ich einrücken. Nicht nur deshalb war es mit Cello aus und vorbei, auch verbrannte mein Instrument während des Krieges, gemeinsam mit vielen anderen Habseligkeiten, in meinem Elternhaus. Nach Kriegsende konnte ich mich nie wieder aufraffen selbst zu spielen. Ich habe mich seit damals auf das Zuhören konzentriert.

Meine Eltern waren sehr gastfreundlich und pflegten viele soziale Kontakte. So pflegte mein Vater, in seiner Funktion als Präsident der Wiener Konzerthausgesellschaft, auch viele Freundschaften zu allen möglichen Künstlern. Wie bereits erwähnt an anderer Stelle erwähnt, überlebte in der Fabrik nur ein einziges Auto die Zerstörungen des Krieges – ein alter, schwarzer Hefe-Lieferwagen. Mit diesem Auto chauffierte ich in diesen Jahren die beeindruckendsten Persönlichkeiten nach Hause. Gäste, die bei uns ein und aus gingen, waren Richard Strauss, Karl Böhm, Herbert von Karajan, Hans Knappertsbusch (einer der hinreißendsten Preußen, die ich jemals kennen lernen durfte) und später auch Leonard Bernstein. Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann, Heimito von Doderer und Friedrich Heer waren bei uns eingeladen. Aus dem Bereich der darstellenden Kunst erinnere ich mich an Fritz Wotruba, Marino Marini, Ernst Fuchs, Wolfgang Hollegha, Othmar Krenn, um nur einige zu nennen. Eine kleine Anekdote fällt mir hierzu zu einem Liebling der Wiener, zum „Knas“, wie Knappertsbusch genannt wurde, ein. Er dirigierte für gewöhnlich sehr langsam. So hatten sich die Blechbläser in der Oper daran gewöhnt, in einer Spielpause das Licht ihres Pultes abzudrehen und aus dem Orchester hinaus zu schleichen, um eine Rauchpause, oder was auch immer, einzulegen. Für gewöhnlich kehrte man dann nicht früher als ein paar Sekunden vor dem Einsatz wieder ans Pult zurück. Einmal hatte Knappertsbusch jedoch einen etwas flotteren Tag, gab den Einsatz und – es war Stille. Die Blechbläser waren noch nicht wieder auf ihren Platz zurückgekehrt! Wir hatten natürlich alle unsere besonderen Lieblinge unter den Künstlern, unter den Sängern zählte für mich Paul Schöffler zu den größten. Meiner Meinung nach war er der herrlichste Hans Sachs, den es jemals gegeben hat. Wenn er im letzten Akt, „am Weg auf die Festwiese“ zu singen begann, begannen wir von unseren Plätzen in der vierten Galerie zu toben und riefen „Sachs! Sachs!“. Viel später einmal hatte ich die Gelegenheit, Paul Schöffler persönlich zu treffen und erzählte ihm, dass wir, meine Opernfreunde und ich, diejenigen gewesen waren, die ihm im letzten Akt so zugerufen hatten. Er antwortete darauf: „Ich habe das immer erhofft aber auch gefürchtet!“ Natürlich hat er sich sehr über die Begeisterungsstürme gefreut, gleichzeitig haben sie ihm aber auch die Kehle zugeschnürt, was man wohl gut nachvollziehen kann. Heutzutage hat sich das schon sehr verändert, es gibt so viele Sänger, die wunderbar singen, jedoch große Unterscheidungen gibt es nicht mehr. Im Gegensatz dazu gab es damals Stimmen, die man unter hunderten hätte herauserkennen können.

Richard Strauss

In meiner ersten und stärksten Erinnerung an Richard Strauss kann ich nicht älter als elf oder zwölf Jahre alt gewesen sein. Ich durfte meine allererste Aufführung der Salome erleben und war so begeistert, dass ich mir danach jeden Abend einen Stehplatz in der Oper organisierte, auf der vierten Galerie, die damals nur 70 Pfennig gekostet hat (der Stehplatz im Parterre wäre auf 1 Mark und 30 Pfennig gekommen und unser Taschengeld war limitiert). Und wenn ich auch sonst kein Autogrammjäger war, von dieser Aufführung war ich so hingerissen, dass ich mich über ein Autogramm sehr gefreut hätte. Für eine ganze Partitur reichte mein Taschengeld damals nicht aus, aber einen Klavierauszug beim Doblinger konnte ich mir leisten. Richard Strauss war damals ein sehr gern und oft gesehener Gast in unserem Haus, er kam regelmäßig zu meinem Vater zum Skat. So erwartete ich ihn eines Abends hinter der Eingangstüre und öffnete selbst, als er anklopfte. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte: „Herr Doktor Strauss, ich war neulich in der Salome und so begeistert – würden Sie mir netterweise etwas auf diesen Klavierauszug schreiben?“ „Was soll ich Dir denn hineinschreiben?“ war seine Antwort. Damit war ich komplett überfordert, mehr als eine Signatur hatte ich nicht erhofft. Ich wünschte mir dann den Moment, als Jochanaan aus dem Brunnen kommt, und zu meiner unendlichen Freude bekam ich diese Zeilen tatsächlich auf den Klavierauszug geschrieben.

Karl Böhm

Mein Vater war auch mit Karl Böhm eng befreundet gewesen, und es ist mir sehr wichtig, hier etwas klarzustellen. Ich halte es für vollkommen unnötig, dass ein gewisser Operndirektor völlig überflüssiger Weise, zum großen Ärger aller, die Karl Böhm gut gekannt haben, eine gewisse Bemerkung gemacht hat. Ja, Karl Böhm ist in Nazideutschland geblieben, wie auch Karajan und Krauss. Es ist nicht jedermanns Sache zu emigrieren, aber Böhm ist nie ein Parteimitglied der NSDAP gewesen.
Auch mit Karl Böhm verbinde ich viele schöne Erinnerungen: Als es ihm verboten wurde aufzutreten, wohnte er in Graz, und wenn er ab und zu nach Wien kam, dann wurden wir regelmäßig von ihm besucht. Wie bereits erzählt war unser Haus am Ende des Krieges abgebrannt, und wir waren vorübergehend in der Fabrik untergekommen. So bekam natürlich auch Karl Böhm, wenn er uns in dieser Zeit besuchte, dort ein Zimmer zugeteilt. Schräg unter seinem Zimmer war damals die Telefonzentrale der Fabrik eingerichtet gewesen, wo es tatsächlich von früh bis spät klingelte. Karl Böhm litt Zeit seines Lebens an Schlafstörungen, und so saß er nicht selten in aller Herrgottsfrüh am Telefon der Fabrik, um die Bestellungen der Bäcker für Hefe entgegen zu nehmen.

Herbert von Karajan

Herbert von Karajan war ein oft und gern gesehener Gast in unserem Haus. Ich erinnere mich noch gut, wenn ich selbst spät nach Hause kam und durch die Glastür, die in unser Wohnzimmer führte, Karajan erblickte, der sich soeben eine Zigarette anzündete, dann wusste ich, dass der Abend für ihn und meinen Vater noch lange nicht zu Ende war! Als ich eines Abends so mein Zuhause betrat, sah ich Karajan am Klavier sitzen und ein Glas Wein stand vor ihm. Mein Vater saß neben dem Klavier, Zeitung lesend, ebenfalls mit einem Glas in der Hand. Als ich das Wohnzimmer betrat, hörte ich Karajan zu meinem Vater sagen: „Also Manfred, wenn ich nie mehr wieder dirigieren darf, würdet ihr mich dann als Tapeur in einem eurer Gasthäuser unterbringen?“ Mein Vater daraufhin mit gespielt gelangweilten Gesichtsausdruck: „Na Herbert, da musst du schon zeigen, ob Du bissl ein Repertoire hast!“ Alle Anwesenden brachen daraufhin ob der Absurdität dieser Aussage meines Vaters in schallendes Gelächter aus, Karajan war natürlich beseelt, setzte sich ans Klavier und spielte so prachtvoll, dass es eine reine Freude war ihm zuzuhören! Meine letzte Erinnerung an Karajan: Ich war bei der berühmten Aenne Burda in Salzburg zum Essen eingeladen, unter den Gästen auch Eliette von Karajan, der ich am Ende des Abends anbot, sie nach Hause zu fahren. Dort angekommen wurde ich hineingebeten und traf Herbert von Karajan an. In einem folgenden, sehr angeregten Gespräch über die kommenden Festspiele in Salzburg schlug ich damals vor, doch einmal den Maskenball aufzuführen und nannte ihm meine Vorstellungen für die verschiedenen Besetzungen. Im nächsten oder übernächsten Jahr, es war im Jahr seines Todes, 1989, wurde tatsächlich Verdis Oper aufgeführt. Ich weiß allerdings nicht, ob ich irgendwas dazu beigetragen habe, damit es dazu gekommen war. Wenn ich realistisch denke, muss ich eingestehen, dass Karajan wohl schon lange mit dieser Idee gespielt haben musste. Leider konnte er die Premiere selbst nicht mehr dirigieren.

Salzburger Festspiele

Die Salzburger Festspiele gab es seit 1920, gegründet von Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss. Strauss hatte meinem Vater einmal gesagt, bei den Festspielen wollte man einmal im Jahr nur das Beste, was man weltweit aufführen könnte, zeigen. So war es ursprünglich nicht im Sinne des Erfinders gewesen, die Salzburger Festspiele mit einem jährlichen Motto zu besetzen, wie z. B. „nur verbotene Komponisten zu spielen“, oder Ähnliches. Vielmehr hat man Toscanini als herrlichsten Dirigenten eingeladen, man wusste, er dirigierte besonders gerne die „Hochzeit des Figaro“. Dann gab es den wundervollen Ezio Pinza, den phantastischsten Don Giovanni weit und breit – also wurde diese Oper aufgeführt, dirigiert von Toscanini und Pinza in der Hauptrolle. Dieser Aufführung ist ein ewiger Erfolg in der Geschichte der Festspiele beschieden!

So war Salzburg vor dem 2. Weltkrieg und dann während der Nachkriegszeit so etwas wie die „künstlerische Metropole des Westens“ und ich hatte das Glück, gleich die ersten Festspiele 1945 miterleben zu können. Genauer gesagt hat man 1945 Festspiele „gespielt“! Es gab natürlich eine Menge großer Künstler, die der Krieg in alle Richtungen verstreut hatte, viele kamen 1945 nach Salzburg zurück und es wurde zum Beispiel im Landestheater Musik gespielt, etc. Der Macher der ersten Nachkriegsspiele war übrigens der ehemalige Presseattaché der österreichischen Botschaft in Prag, der mir, als ich ihn einmal besuchte, erklärte, dass es eines seiner größten Ziele wäre, einmal Wiener Operndirektor zu werden. Es war Egon Hilbert, der später, nach seinem Posten als Sektionschef der Bundestheater, tatsächlich Direktor der Wiener Staatsoper wurde. Leider war meiner Meinung nach die Übernahme der Festspiele durch Gerard Mortier eine nicht ganz so glückliche Entwicklung. Auch wenn die Umsatzzahlen unter seiner Leitung anderes zeigen, konnten mich seine inhaltlichen Interpretationen nie so richtig überzeugen. Sein Fehler war meiner Ansicht nach, dass er uns zeigen wollte, „was die Moderne ist“. An dieser Stelle muss ich auch erwähnen, dass mein Vater bereits in den 1950er Jahren, gemeinsam mit dem damaligen Generalsekretär der Gesellschaft für Musikfreunde, Egon Seefehlner, das Projekt „Moderne“ in Angriff genommen hatte, indem z. B. Igor StrawinskysGeschichte vom Soldaten“ gespielt wurde. So war z. B. der erste Rosenkavalier, der unter Mortier zur Aufführung kam, für mich eine sehr enttäuschende Vorstellung! Zur Verteidigung Mortiers muss ich hinzufügen, dass er den Rosenkavalier nur auf den Spielplan gesetzt hatte, Regie führte damals Herbert Wernicke. Nichtsdestotrotz fällt es mir schwer, die Mortier´schen Interpretationen gut zu heißen. Wenn man Hoffmannsthals Rosenkavalier gelesen hat, so kann man erkennen, dass er sich selbst über die österreichische Aristokratie lustig gemacht hat. Wenn er z. B. vom Bagatelle-Adel spricht, so muss einem bewusst sein, dass er, Hofmannsthal, genauso zu diesem zählte! Er war eben nur ein schlichter „von“, und gehörte so nicht wirklich der Aristokratie an. Wenn also die Marschallin im Schlussakt dem neureichen, neugeadelten Faninal, der es gerade einmal zum Baron geschafft hat, sagt, „Ich geh´ jetzt da hinein und lad´ ihn ein, mit mir und ihr und dem Grafen da in meinem Wagen heimzufahren – meint sie nicht, dass ihn das rekreieren wird und allbereits ein wenig munter machen“, so ist das die Apotheose, das ist für den guten Freund natürlich das Allerschönste. Wernickes Inszenierung jedoch lässt beide in getrennten Wagen wegfahren – zeigt also genau das Gegenteil der ursprünglichen Intention. Wernicke und Mortier hätten sehen müssen, dass sich Hofmannsthal hier über den Adel lustig macht, dass er karikiert. Mortier aber war erstaunt, dass wir Wiener ein sehr verwöhntes Publikum sind und unsere Lieblingsopern wirklich auswendig kennen, in Wort und Ton. Solche Subtilitäten sind für uns eine Selbstverständlichkeit, für andere sind das jedoch offensichtlich fremde Thematiken. Ein anderes Beispiel, wieder aus dem Rosenkavalier: Wenn der Ochs auftritt, so darf er, wie Strauss bereits meinem Vater gegenüber immer wieder betonte, auf keinen Fall ordinär wirken. Er mag zwar heruntergekommen sein, aber er war doch immerhin (wenn auch ein etwas derber, aber sicher nicht ordinärer) Edelmann. Mortier aber ließ den Ochsen mit seiner Entourage auftreten, die nichts Besseres zu tun hatte, als in neuen Steireranzügen wie Gamsböcke über das Bett der Marschallin zu hüpfen! Noch ein letztes Beispiel aus dieser Inszenierung: Der Ochs diskutiert mit der Marschallin darüber, warum er, der Ochs, Sophie, die Tochter des neureichen Faninal, heiraten will und entschuldigt sich quasi für diese Mésalliance:

Marschallin
Wer ist nur schnell die Braut?

Baron
Das Fräulein Faninal. Ich hab‘ Euer Gnaden den Namen nicht verheimlicht.

Marschallin
Natürlich! Wo habe ich meinen Kopf. Bloß die Familie. Sind´s keine Hiesigen?

Baron
Jawohl, Euer Gnaden, es sind Hiesige. Ein durch die Gnade Ihrer Majestät Geadelter. Er hat die Lieferung für die Armee, die in den Niederlanden steht.

Baron
Ich seh‘, Euer Gnaden runzeln Dero schöne Stirn ob der Mesalliance. Allein, daß ich es sag‘, das Mädchen ist für einen Engel hübsch genug. Kommt frischwegs aus dem Kloster. Ist das einzige Kind.
Dem Mann gehören zwölf Häuser auf der Wied’n, nebst dem Palais am Hof, und seine Gesundheit soll nicht die beste sein.

Marschallin
Mein lieber Vetter, ich kapier‘ schon, wie viel’s geschlagen hat.

Baron
Und mit Verlaub von Euer fürstlichen Gnaden, ich dünke mir gut’s adeliges Blut genug im Leib zu haben für ihrer Zwei. Man bleibt doch schließlich, was man ist, corpo di Bacco! Den Vortritt, wo er ihr gebührt, wird man der Frau Gemahlin noch zu verschaffen wissen, und was die Kinder anlangt, wenn sie denen den goldnen Schlüssel nicht konzedieren werden – Va bene! Werden sich mit den zwölf eisernen Schlüsseln zu den zwölf Häusern auf der Wied’n zu getrösten wissen.

Marschallin
Gewiß! O sicherlich, dem Vetter seine Kinder, die werden keine Don Quixotten sein!

Die Bedeutung dieser Aussage ist folgende: Unter Maria Theresia bekamen Buben, die siebzehn Generationen an adeligen Vorfahren in beiden Richtungen aufweisen konnten, den Goldenen Schlüssel und konnten somit bei Hof in privilegierten Stellungen unterkommen. Wie bereits einmal gesagt, wir Österreicher kennen unsere Opern eben in- und auswendig! Mir scheint, dass Mortier diese Zusammenhänge nicht erkannte.

Es gibt zwei Opern, die man eigentlich ununterbrochen und in allen Lebenslagen zitieren könnte: Einerseits ist das der Rosenkavalier und andererseits sind das die Meistersinger. Der Vorwurf, die Meistersinger wären eine Hitleroper, ist eine blöde und dumme Bemerkung! Wagner war ein Genie, und ich kann mich in seinen Opern herrlich unterhalten, wenn ich dieses vermeintliche Uraltdeutsch des Reimes wegen mitlese. Die Meistersinger sind schon ein sehr typisches Zeichen des Mittelalters, wo kein Fürst sein Volk verstanden hat. Leider sind heutige Regisseure eben oft unbelesen, das nimmt vielen Aufführungen den ureigentlichen Sinn.