Großvater – Lebenserinnerungen von Manfred II. Mautner Markhof

Erinnerungen an meinen Großvater

Meinen Großvater Theodor Mautner Markhof habe ich sehr verehrt. Er war ein sehr liebenswerter Mensch und ein großer Pferdenarr, von ihm erbte ich wohl meine große Liebe zu den Pferden. Großvater hatte neben den Pferden für die Brauerei auch eine Unterkunft für seine Traber in Floridsdorf. Für seine Pferde tat er wohl alles, und er konnte auch tatsächlich ausrasten, wenn jemand falsch mit seinen Pferden umging – eine cholerische Ader konnte man bei ihm nicht abstreiten. Allerdings dauerten seine „Gewitter“ nie lange, und nach so einem Gewitter war die Sonne sehr schnell wieder da. Das wussten die Kutscher in der Brauerei natürlich nur zu genau und provozierten nicht selten ein solches Donnerwetter, immerhin hatten sie auch längst durchschaut, dass einem Donnerwetter eine monetäre Entschuldigung seitens meines Großvaters folgen würde. Cholerisch war mein Vater übrigens auch gewesen, ich würde sagen, dass wir das alle ein bisschen geerbt haben, auch ich habe mich in meinem Leben schon ziemlich laut ärgern können… Der Charakter meines Großvaters jedenfalls lässt sich vielleicht gut veranschaulichen durch folgende kleine Anekdote: Bei Trabrennen hielt es der Großvater ursprünglich so, dass er die Pferde von seinem Gestütmeister fahren ließ. Mit der Hoffnung, noch bessere Ergebnisse zu erzielen, konnten ihn seine Söhne irgendwann einmal dazu überreden, die Pferde aufzuteilen und bei den damals besten Trainern unterkommen zu lassen. Daraufhin heimsten Großvaters Pferde einen Sieg nach dem anderen ein. Aber was geschah – im darauffolgenden Jahr waren alle Pferde wieder von den Trainern weggeholt und einem Menschen übergeben worden, der sich dazu ganz und gar nicht eignete. Als ich den Großvater einmal darauf ansprach, gab er mir eine Antwort, die mich sehr beeindruckte: Er erzählte mir von einem Gestüt am steirischen Murhof, das damals die große Konkurrenz darstellte. Und nicht selten meinten Leute, sie würden jedem den Sieg gönnen, wenn es nur nicht die Pferde vom Murhof waren, denn die würden doch sowieso alles gewinnen. Diese Nachrede wollte mein Großvater nie bekommen, und so freute er sich eben mit aller Ehrlichkeit über kleine Siege, mehr brauchte er nicht. Mein Großvater war sein Leben lang kaum krank, und wenn er doch einmal einen Arzt brauchte, so schickte er nach dem Tierarzt seiner Pferde. Seine Maxime lautete „Was für meine Pferde gut ist, ist auch gut für mich!“ Der gute Dr. Hoffmann behandelte also nicht nur die Pferde meines Großvaters sondern auch meinen Großvater selbst!

1938 bekamen meine Großeltern einen prachtvollen großen Horch, der Chauffeur war damals natürlich überglücklich darüber, plötzlich ein so ansehnliches Auto zu chauffieren. Im September begann der Krieg, sogleich wurde der Horch eingezogen. Das wiederum war – wenn auch nur in dieser Hinsicht – ein sehr schöner Tag für meinen Großvater; endlich konnte er die Pferde wieder aus dem Stall holen und vor die Kutsche spannen. Auch der damalige Kutscher, Herr Wallner, war überglücklich, denn er konnte doch noch seinen Telefonisten-Posten verlassen und durfte wieder auf dem Bock sitzen. Nicht selten allerdings lenkte mein Großvater die Pferde selbst. Wohlgemerkt: aus dem Wagen heraus!

Wie gesagt hatte ich eine sehr enge Beziehung zu meinem Großvater und wir unternahmen gemeinsam unzählige Ausritte. Auf diesen gemeinsamen Ausritten erzählte er mir die schönsten und interessantesten Geschichten, nur leider war er sehr schwerhörig, und die Angewohnheit von Schwerhörigen ist es nun einmal, dass sie auch besonders undeutlich sprechen Ich konnte natürlich nicht allem Ungehörten nachfragen, so nickte ich oft und antwortete doch immer sehr gehörig, so ungefähr hatte ich seine Geschichten ja doch verstanden. Viel später wurde mir diese Gewohnheit einmal zum „Verhängnis“: Wir waren bei den Großeltern meiner Frau zum Essen geladen, und aus Höflichkeit wurde immer Deutsch mit mir gesprochen. Diesen Usus hatte der Großvater einmal vergessen und sprach aus Versehen holländisch zu mir, ich nickte zu allem artig und gab vor, der Diskussion zu folgen. Plötzlich bemerkte der Großvater entgeistert: „Du verstehst doch gar kein Holländisch!“ Diese Taktik ist also nicht immer ganz aufgegangen.

Zurück zu meinem Großvater. Er trug einen Backenbart und folgte damit einer längeren Tradition, bereits mein Ururgroßvater hatte einen Backenbart getragen, und so taten es auch mein Großvater und später mein Vater. Bei meinem Vater war es ursprünglich ein „Versuch“, nämlich wohnten wir in der ersten Nachkriegszeit in den Simmeringer Kellergewölben, und dort gab es verständlicherweise keine Möglichkeit, sich zu rasieren. Der Weg zum Backenbart war dann nicht mehr weit für meinen Vater. Es wäre also nur verständlich, bei mir einen Backenbart zu vermuten, diese Tradition spreche ich allerdings nur all jenen Mautner’schen Männern zu, die vor dem Ersten Weltkrieg geboren wurde.

Ich habe bereits erzählt, dass wir auf dem gleichen Grundstück wie meine Großeltern aufwuchsen, und als Kinder bot sich uns diese geographische Nähe natürlich für den einen oder anderen Streich geradezu an. Wir, das waren damals vor allem meine Schwester Christl, mein erst kürzlich verstorbener Vetter Marius sowie dessen Bruder Heinrich, die mit ihren Eltern, Gerhard und Elisabeth Mautner Markhof, im gleichen Haus wohnten wie wir. So erinnere ich mich zum Beispiel an einen Streich, der einen Angestellten meiner Großeltern betraf, Herrn Sturm, der immer wieder recht gerne zu tief ins Glas schaute. Es ergab sich, dass wir, Heinrich, Marius, meine Schwester Christl und ich, weder einmal auf der Kegelbahn mit unseren Flaubert-Gewehren üben, was an sich noch erlaubt war. Am Ende dieser Kegelbahn gab es ein Klo, und ein Schuss ging dabei direkt in dieses Klofenster. Auch das wäre noch nicht das Allerschlimmste gewesen, jedoch saß der arme Herr Sturm gerade auf diesem Klo, er muss dort wohl eingeschlafen sein, und bekam verständlicher Weise einen Riesenschreck. Wir hatten unseren Mordsspaß daran, weitere Schüsse in dieselbe Richtung abzugeben und damit den Armen von dort nicht mehr aufstehen, geschweige denn herauskommen zu lassen. Irgendwann einmal war es auch Zeit für die erste Zigarette. Unsere ersten Versuche in diese Richtung machten wir im Tennishaus, mit den Zigaretten meiner Eltern, die immer der jüngste unter uns, also Marius, von zu Hause mitgehen lassen musste. Ich muss wohl eher sagen, die Zigaretten meines Vaters, er hat viele Jahre seines Lebens geraucht, meine Mutter hielt kaum je eine Zigarette in der Hand. Nur manchmal, nach dem Mittagessen, hat ihr eine Zigarette gut geschmeckt, allerdings mussten wir Kinder dann so lachen, dass es für sie keine Freude war. Es gab zwei Dinge, über die wir bei unserer Mutter immer sehr lachen mussten: das waren erstens ihre Rauchversuche, zweitens, wenn sie versuchte, im Dialekt zu reden, beides beherrschte sie überhaupt nicht, zu unserer großen Freude! Aber zurück zu unseren ersten Rauchversuchen: Uns war damals aus verlässlicher Quelle gesagt worden, dass man den Geruch von Zigarettenrauch vermeiden könne, wenn man nach dem Rauchen an Kalk hauchte. Nach unseren Rauchversuchen war unser erster Weg deshalb in die Garage, um die dortige Kalkwand anzuhauchen. Kaum kam ich jedoch nach Hause, war ich auch schon von der damals englischen Nanny ertappt worden: „Manfred, you’ve been smoking!“ Es war mir unerklärlich, wie sie das hatte erahnen können!

Mein Großvater war ein wirklich großartiger Mensch, und ich glaube fest, als er im Februar 1947 mit 78 Jahren starb, hatte er nicht einen einzigen Feind. Meine Großmutter lebte nach dem Tod ihres Mannes weiter in der Zedlitzgasse, in die sie schon Jahre vorher gezogen war. Auch sie war eine sehr liebe Frau gewesen, aber meine Beziehung zu ihr war sicherlich viel distanzierter. Die beiden hatten eine hervorragende Ehe geführt und es war eigentlich immer die Großmutter, die sagte, was geschehen sollte – allerdings nur solange es der Großvater zuließ…!